Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

606 IL. Buch. Die Reichsgewalt. 
befafst nicht alle Thatbestände, welche eine Verletzung oder Gefähr- 
dung der menschlichen Gesundheit durch absichtliche oder schuldhafte 
Handlungen oder auch durch Zufall herbeiführen und den Anlals zu 
mannigfachen Anordnungen und Mafsregeln des Strafrechtes und der 
Sicherheitspolizei bieten?. Vielmehr sondert dieselbe aus dem Be- 
reiche des Schutzes für Leib und Leben solche Thatbestände aus, 
welche in ihrer schädlichen oder förderlichen Einwirkung auf die 
menschliche Gesundheit einer besonderen technischen (medizinischen) 
Beurteilung und Behandlung fähig und bedürftig sind. Die hierauf 
gegründeten Anordnungen und Malsregeln, Einrichtungen und Organi- 
sationen bilden die Gesundheitspflege im eigentlichen Sinne und in 
ihrer doppelten Richtung auf Verhütung und Heilung von Krankheiten. 
Für dieses Gebiet unterwirft. die R.V. a. 4 Nr. 15 der Beauf- 
sichtigung und Gesetzgebung des Reiches: „Malsregeln der 
Medizinalpolizei“®, 
Zweifellos ist in dieser Klausel eine gewisse Beschränkung ent- 
halten. Sie kann nicht in einer Auffassung des Wortes Polizei ge- 
funden werden, wonach dasselbe nur die Abwendung von Gefahren 
im Unterschied von Malsregeln positiver Förderung bedeutet. Denn 
ein solcher Unterschied ist nicht nur in der positiven Gesetzgebung 
überhaupt zu keinem klaren Ausdruck gekommen, sondern er ist ins- 
besondere auf dem Gebiete der Gesundheitspflege vollkommen un- 
durchführbar*. Die Beschränkung kann auch nicht gefunden werden 
in der Aussonderung einzelner bestimmter Malsregeln, zu denen das 
Reich kompetent, und anderer, zu denen es dies nicht ist. Denn 
hierfür gebricht es an jedem Anhalt. Vielmehr kann die beschränkende 
Wortfassung nur aus einem anderen Gesichtspunkte erklärt werden. 
2 Die Verbrechen der Tötung, der Körperverletzung, der Gefährdung 
von Leib und Leben (Aussetzung, Vergiftung, Abtreibung, Raufhandel, Zwei- 
kampf), aber auch solche strafrechtliche Vorschriften, welche den Gefahren 
des menschlichen Verkehres (ungehöriges Fahren, Schiefsen, gefährliches Auf- 
stellen von Sachen, Gefährdung der Sicherheit auf den Strafsen, Str.G.B. $ 366 
No. 2. 4. 8. 10, 8 367 No. 8. 12), der Tierhaltung (ebenda $ 367 No. 11), der 
Baulichkeiten (ebenda $ 367 No. 13. 14) u. s. w. begegnen, mag man dem 
Gesundheitswesen in einem weiteren Sinne zurechnen, der Gesundheitspflege 
gehören sie nicht an. 
3 R.V. von 1849 $ 61. U.V. 8 59: „Die Reichsgewalt ist befugt, im 
Interesse des Gesamtwohls allgemeine Mafsregeln für die Gesundheitspflege 
zu treffen.“ 
+ Während das preufsische Landrecht IL, ı7 $ 10 im Amte der Polizei 
die Abwendung der Gefahren betont, macht doch das preufs. Gesetz über die 
Polizeiverwaltung vom 11. März 1850 $ 6 sub f zum Gegenstande des polizei- 
lichen Verordnungsrechtes die „Sorge für Leben und Gesundheit“. schlechthin.
	        
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