Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 101. Mafsregeln der Medizinalpolizei. 607 
Im weitesten Umfange nämlich gewinnt die Gesundheitspflege des 
Staates ihren praktischen Ausdruck nicht sowohl in selbständigen Ord- 
nungen und Einrichtungen, sondern vielmehr als integrierender Be- 
standteil anderweitiger Verwaltungsaufgaben, deren Ordnungen und 
Einrichtungen zwar zunächst durch ihren specifischen Zweck bestimmt 
werden, die aber zugleich den mitbestimmenden Gesichtspunkt des 
Schutzes und der Förderung der menschlichen Gesundheit dulden und 
fordern. So insbesondere im Gebiete der Militär- und Unterrichts- 
verwaltung, so im Gewerbe-, Bau-, Wege- und Veterinärwesen. 
Aus diesem Zusammenhang ergiebt sich auf der einen Seite, dals 
das Reich einer besonderen Klausel nicht bedurfie, um in allen Ge- 
bieten, auf die sich seine Kompetenz überhaupt erstreckt, zugleich 
auch die Rücksichten der Gesundheitspflege zur Geltung zu bringen. 
Die besondere Klausel hat vielmehr gerade die Bedeutung, das’ Reich 
auch zu selbständigen, nur durch die Aufgabe der Gesundheitspflege 
bestimmten und zusammengehaltenen Regelungen zu ermächtigen. Allein 
jener Zusammenhang ergiebt auf der anderen Seite den legislatorischen, 
allerdings ausschlieislich der freien Erwägung des Reiches unterliegen- 
den Gesichtspunkt, dafs solche Anordnungen im Interesse der Gesund- 
heitspflege, welche mit anderen, der Reichskompetenz nicht unter- 
liegenden Verwaltungszweigen, z. B. dem Unterrichtswesen, in einem 
untrennbaren Zusammenhange stehen und sich darum nur als beson- 
ders qualifizierte Ordnungen des Gegenstandes selbst regeln lassen, 
dem Wirkungskreise der Einzelstaaten vorbehalten bleiben. In diesem 
Sinne und nach der Natur dieser Sachlage befalst die Kompetenz des 
Reiches allerdings nicht die Gesamtheit der Gesundheitspflege,. sondern 
sie ist beschränkt auf „Malsregeln der Medizinalpolizei“ °. 
Auf Grund dieser Gestaltung seiner Kompetenz hat sich die 
Gesetzgebung des Reiches entwickelt. 
Zu einem grolsen Teile sind die reichsgesetzlichen Bestimmungen 
im Interesse der Gesundheitspflege integrierende Bestandteile solcher 
Ordnungen, die sich auf anderweitige Kompetenzen stützen. So hat 
5R.V. a. 4 No. 15 beruht auf einer Einschiebung des konstituierenden 
Reichstages. Der Abg. Baumstark in Anlehnung an die R.V. von 1849 $ 61 
hatte die Klausel dahin formuliert: „Mafsregeln im Interesse des Gesamtwohles 
für die Gesundheit der Menschen und Tiere.“ Dem stellte Abg. Graf Schwerin 
als „blofs bessere Fassung“ den jetzigen Wortlaut gegenüber mit der Be- 
merkung: „die Bundesgesetzgebung hat sich überhaupt nur mit der Gesundheit 
der Menschen und Tiere zu beschäftigen, insoweit es sich um polizeilichen 
Schutz im allgemeinen Interesse handelt.“ Aber diese Bemerkung ist in ihrer 
Unklarheit für die Auslegung unbrauchbar.
	        
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