612 II. Buch. Die Reichsgewalt,
die privatrechtliche Stellung der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossen-
schaften vom 4. Juli 1868 und 19. Mai 1871, jetzt vom 1. Mai 18898,
Die Reichskompetenz befalst insbesondere aber auch die öffentlich-
rechtliche Seite des Vereinswesens: die Bedingungen, unter welchen
die Freiheit der Vereinsbildung und der Versammlungen anerkannt
wird, und die Beschränkungen, welche denselben im staatlichen Inter-
esse aufzuerlegen sind.
Die Reichsgesetzgebung ist hierfür bisher nur in vereinzelten Be-
stimmungen .und im Zusammenhang mit andern Kompetenzen wirk-
sam gewesen. Sie hat das Recht der Vereinsbildung und der Ver-
sammlungen behufs Betriebes der Reichstagswahlen durch Wahleesetz
vom 31. Mai 1869 (S 17), die Koalitionsfreiheit der Arbeiter durch
die Gewerbeordnung ($ 152) festgestellt; sie hat gewisse Formen und
Zwecke der Verbindungen durch das Strafgesetzbuch ($$ 128. 129)
und die Teilnahme an politischen Vereinen und Versammlungen den
zum aktiven Heer gehörigen Militärpersonen durch das Militärgesetz
vom 2. Mai 1874 (8 49) verboten; sie hatte endlich umfassende Be-
schränkungen des Vereinswesens durch das jetzt erloschene Soeialisten-
gesetz vom 21. Oktober 1878 herbeigeführt.
Bei dem allen ist das Reich auf Gesetzgebung und Beaufsichti-
gung beschränkt.
Eine Überschreitung dieser Grenze hatte die Verwaltungsgerichts-
barkeit herbeigeführt, die das Socialistengesetz der „Beschwerde-
kommission“, einer aus Bundesratsmitgliedern und Richtern gebildeten
Reichsbehörde, behufs Entscheidung über Beschwerden gegen polizei-
liche Verbote von Vereinen und Druckschriften übertragen hatte. Sie
ist mit dem Gesetze selbst beseitigt.
II. Bewegung und Niederlassung der Bevölkerung!.
8 108.
In R.V.a.4 unter 1 sind der Kompetenz des Reiches unterstellt die
‚Bestimmungen über „Freizügigkeit, Heimats- und Nieder-
lassungsverhältnisse“, „Pafswesen und Fremdenpolizei‘,
. 6 Nach 88 55. 58 dieses Gesetzes steht dem Bundesrate die Verleihung
und Entziehung des Rechtes auf Bestellung des Revisors für solche Genossen-
schaften zu, welche einem Revisionsverbande angehören — jedoch nur dann,
wenn der Bezirk des Verbandes sich über mehrere Einzelstaaten erstreckt.
1 Arnoldt, Freizügigkeit und Unterstützungswohnsitz, 1872. v. Rönne,
'Staatsr. d. d: R. I 110ff. G. Meyer, Lehrb. d. d. Verwaltungsr. I 96 ff. und
Lehrb. d. d. Staatsr. $ 219.