614 II. Buch. Die Reichsgewalt.
nenden Verhältnisse eine nächste Beziehung zu der Organisation der
örtlich geeliederten Nachbarschaften, zu den Gemeinden stiften, so
brachte es die historische Entwickelung der Städte, der Bauernschaften,
der Schutz- und Gutsherrschaften mit sich, dafs die entsprechenden
rechtlichen Ordnungen der Autonomie und Verwaltung der letzteren
anheimfielen. Aber diese partikularistisch zersetzten Ordnungen traten
bei der Erstarkung des Staates in einen notwendigen Widerspruch mit
den Anforderungen, welche aus der Zugehörigkeit zu dem höheren poli-
tischen Verband abgeleitet werden mufsten, und welche es verboten,
Grundbedingungen der menschlichen Kulturentwickelung den kommu-
nalen Willküren anheimzustellen. Zum Behufe des Ausgleiches dieses
Widerspruches zwischen den kommunalen und staatlichen Interessen
sind jene Gesetze entstanden, welche während der ersten Hälfte dieses
Jahrhunderts in fast allen deutschen Staaten das „Heimatsrecht“ zum
Abschluls .brachten. Nur in Preulsen hatte eine schon frühere Gesetz-
gebung die Richtung eingeschlagen, die Ordnung der Freizügigkeit
und der Niederlassungsverhältnisse von den Gemeindeordnungen zu
trennen und damit das Heimatsrecht in seine einzelnen Bestandteile
aufzulösen.
Unter Heimatsrecht verstand man nach jenen Gesetzen die
dauernde, wesentlich durch Geburt, Heirat oder Verleihung begründete
Beziehung zu einer bestimmten Gemeinde, welche die
oberste Voraussetzung für das Recht des Aufenthaltes und folge-
weise eintretenden Falles der Armenunterstützung, für das Recht
der selbständigen Begründung eines Wirtschaftsbetriebes, sei
es durch Erwerb vonGrundeigentum oderdurch Ergreifung
eines Gewerbezweiges, endlich für das Recht der selbständigen
Familienbegründung durch Verehelichung bildete. Allerdings war
die vorausgesetzte Beziehung zur Gemeinde eine verschieden ab-
gestufte und qualifizierte, bald nur ein Beisassen- oder Einsitzer-
verhältnis, bald ein volles Bürgerrecht, je nachdem es sich um den
Erwerb der einen oder anderen Befugnis handelte, immerhin aber war
4 Paradigmen für die Bestimmung des vollen Inhaltes des Heimatsrechtes
sind insbesondere Sachsen- Weimar, Gesetz vom 11. April 1831 (bei
v. Göckel, 5. Bd., S. 198); Baden, Gesetz über die Rechte der Gemeinde-
bürger vom 31. Dez. 1831; Württemberg, revidiertes Gesetz über das
Gemeinde-, Bürger- und Beisitzerrecht vom 4. Dez. 1833; Kurhessen, Ge-
meindeordnung vom 23. Okt. 1834; Bayern, die älteren Gesetze über Heimat,
11. Sept. 1825
— Jh 1854 und die neueren
Ansässigmachung und Verehelichung vom
16. April 1868
Gesetze vom 55 Frep,, 187°