616 II. Buch. Die Reichsgewalt.
vertrages vom 8. Juli 1867 a. 26 al. 2, welche Kaufleute, Fabrikanten
und andere Gewerbetreibende, falls sie in ihrem Wohnsitz die gesetz-
lichen Abgaben von ihrem Geschäfte entrichtet haben und nur unter
Mitführung von Mustern Bestellungen suchen oder Ankäufe machen,
in dem anderen Einzelstaat von weiteren Abgaben befreite”.
Endlich hat sich das Reich durch das Gesetz vom 6. Februar 1875
auf Grund der hier in Frage stehenden Kompetenzen für befugt er-
achtet, die Beurkundung des Personenstandes?3 einer ein-
heitlichen Ordnung zu unterwerfen, als einer für die Handhabung und
Durchführung der Gesetze über Freizügigkeit und Unterstützungswohn-
sitz unerläfslichen Voraussetzung’. Allerdings hat diese Ordnung eine
über diese Verhältnisse hinausreichende, . weitere Bedeutung; allein
war sie auch nur zugleich Voraussetzung für die unter die Kompetenz
des Reiches fallenden Gegenstände und war eine hierauf beschränkte
Regelung der Natur der Sache nach unausführbar, so konnte um ihrer
weiteren Bedeutung willen dem Reiche die Kompetenz nicht bestritten
werden. Dies um so weniger, als jene weitere Bedeutung sich auch
auf Gebiete erstreckte, welche, wie die Militärverwaltung, der Reichs-
kompetenz unterlagen. |
2. Wie der hinzutretende Ausdruck der „Heimatsverhältnisse“
den Umfang, so verdeutlicht seine Kombination mit den Ausdrücken
„Freizügigkeit“ und „Niederlassungsverhältnisse“ auf der anderen
Seite die Grenzen der Reichskompetenz auf diesem Gebiete.
Zunächst ist die Regelung des Verehelichungswesens, des Grund-
eigentumserwerbes und der gewerblichen Etablierung nicht identisch
mit der privatrechtlichen Ordnung der Ehe und des Grund-
eigentums und mit der Gewerbeordnung. Vielmehr befalst dieselbe
Ehe, Grundeigentum und Gewerbebetrieb nur unter dem Gesichts-
punkte eines Ausflusses der Freizügigkeit und eines Aktes der Nieder-
? Diese Bestimmung ist also entgegen Delbrück Artikel 40 8. 90 nicht
verfassungsrechtlicher Natur.
8 Insoweit das Gesetz zugleich die bürgerliche Eheschliefsung betrifft,
trat jedoch die Kompetenz des Reiches erst mit der Erstreckung auf das
bürgerliche Recht ein. Das Gesetz betr. die Eheschliefsung und die Be-
urkundung des Personenstandes von Bundesangehörigen im Auslande vom
4. März 1870 beruht auf den völkerrechtlichen Befugnissen, auf der Schutz-
pflicht des Reiches gegenüber seinen Angehörigen im Auslande. Vgl. Motive
des Gesetzentwurfes und Kommissionsbericht, Verh. des Reichstages von 1870,
Anlagen No. 10 und 53. Unrichtig die Auffassung einer Kompetenzausdehnung
auf das bürgerliche Recht ad hoc im Kommissionsbericht von 1873, Anl.d. V.
d. R. No. 142.
9 S. die Resolution des Reichstages vom 6. Nov. 1871.