618 II. Buch. Die Reichsgewalt.
den in seinem Aufenthaltsorte auf Kosten des aufnahmepflichtigen Ver-
bandes gefordert wird!?. Diese sachliche Kompetenz ist allerdings
beschränkt in Rücksicht auf die Parteien. Sie tritt kraft Reichs-
sesetzes nur dann ein, wenn die streitenden Armenverbände ver-
schiedenen Einzelstaaten angehören. Aber die Landesgesetz-
gsebung ist ermächtigt, die Kompetenz des Bundesamtes dahin zu
erweitern, dals es auch in Streitigkeiten zwischen Armenverbänden
ein und desselben Einzelstaates als höchste Berufunssinstanz ein-
tritt *. Immerhin — sowohl in seiner reichsgesetzlich beschränkten
als in seiner landesgesetzlich erweiterten Kompetenz — stellt die Errich-
tung des Bundesamtes für das Heimatswesen eine Erweiterung des
Beaufsichtigungs- und Gesetzgebungsrechtes zu einer eigenen Recht-
sprechung des Reiches mit unmittelbarer Rechtswirkung für die Par-
teien dar.
4. Gegenüber diesen gemeingültisen Kompetenzen des Reiches
besteht eine Exemtion Bayerns. Sie wird beschrieben durch
die Worte des Verfassungstextes: „in Bayern jedoch mit Aus-
schlufs der Heimats- und Niederlassungsverhältnisse“.
In dieser Exemtionsklausel ist die „Freizügigkeit“ nicht genannt.
Sie verbleibt der Beaufsichtigung und Gesetzgebung des Reiches auch
für Bayern. Ja die „Freizügigkeit“ ist hier über den strengen Wort-
sinn hinaus in der positiv-rechtlichen Bedeutung aufgefafst, wie sie
das norddeutsche Gesetz vom 1. November 1867 festgestellt hatte.
Dieses aber befafst nicht nur die Regelung des Aufenthaltswechsels,
sondern auch die der Niederlassung, insofern die letztere durch Grund-
eigentumserwerb oder durch gewerbliche Etablierung erfolgt. Und so
bezieht sich die Exemtion Bayerns, wie dies die Einführung des un-
geschmälerten Freizügigkeitsgesetzes und der Gesetze über das Pals-
wesen, die Doppelbesteuerung und die Beurkundung des Personen-
standes bestätigt, lediglich auf zwei Punkte: auf die Selbständigkeit
der bayerischen Gesetzgebung über den Unterstützungswohnsitz und
ebenso über das Verehelichungswesen — letzteres auch hier im Unter-
schiede von der privatrechtlichen Ehegesetzgebung '°.
An diesen beiden Punkten bewirkt es die bayerische Exemtion,
dafs Bayern im übrigen Deutschland und Deutsche in Bayern so zu
behandeln sind, wie die in jedem Gebiete gültigen Gesetze den Aus-
länder behandeln. Daher denn im Verhältnis Bayerns zu dem übrigen
Bundesgebiete die Regelung der Ausweisungsbefugnis Verarmter und
13 Unterstützungswohnsitzgesetz $ 56. 14 Ebenda $ 52.
15 S, bayerisches Schlufsprotokoll vom 23. Nov. 1870 sub I und Verhand-
lungen des Reichstages von 1875 S. 962. 975.