636 II. Buch. Die Reichsgewalt.
Anlage des Eisenbahnnetzes, einschliefslich des Konzessionswesens,
welche die Sicherheit von Leib und Leben, die privatrechtliche Ge-
staltung des Beförderungsvertrages, das Tarifschema, die Verhältnisse
zur Post-, Telegraphen-, Zoll- und Veterinärverwaltung betreffen, dem
Interesse des allgemeinen Verkehres auch dann subsumiert, wenn sie
auf Secundär- oder Lokalbahnen Anwendung finden. Umgekehrt wer-
den bestimmte andere Einrichtungen und Ordnungen, die man als
lokalpolizeiliche, insbesondere für die Interessen des Wege- und Kanal-,
des Ent- und Bewässerungswesens bezeichnen mag, auch dann aus-
scheiden, wenn sie bei der Anlage oder dem Betrieb einer Haupt-
oder Vollbahn in Betracht kommen.
Nur diese letztere Auffassung, wie sie sich in der praktischen
Handhabung der Reichskompetenz geltend gemacht hat?, entspricht
der Absicht der Verfassung*. Denn es kann nicht angenommen wer-
den, dafs die Reichsverfassung in a. 4 No. 8 das „Interesse des all-
gemeinen Verkehrs“ im lokalisierenden Sinn auffalste, um denselben
sofort in den Specialbestimmungen des VII. Abschnittes zu verleugnen.
Diese letzteren treffen aber gesetzgeberische Anordnungen (a. 41 al. 2.
3), konstituieren Verpflichtungen (a. 42), und erteilen dem Reiche Er-
mächtigungen für die Zwecke der Sicherheit des Verkehres (a. 43,
2. Satz), für die Gestaltung der Betriebsreglements und der Tarife
(aa. 45. 46), welche die Beschränkung auf irgendwie bestimmte ein-
zelne Bahnunternehmungen oder Bahnstrecken ausschlielsen.
Hiernach ist die Begrenzung, welche in der beschränkenden Klau-
sel des R.V. a. 4 No. 8 liegt, für das Eisenbahnwesen nur dahin zu
ziehen, dafs sie die Beaufsichtigung und Gesetzgebung des Reiches
von denjenigen Ordnungen und Einrichtungen ausschliefst, welche nur
die Wahrung lokaler und individueller Interessen bei Anlage und Be-
trieb der Eisenbahnen bezwecken und eine Beziehung auf die Landes-
verteidigung nicht haben.
2. Abgesehen nun aber von der beschränkenden Wirkung dieser
Klausel wird die Reichskompetenz für das Eisenbahnwesen in allem
übrigen ausschliefslich durch den Gegenstand bestimmt und be-
8 So insbesondere im Erlafs der Bahnordnung für Eisenbahnen unter-
geordneter Bedeutung vom 12. Juni 1878 (Centralbl. 8. 341).
* Ganz deutlich sprach das $ 28 der Reichs- und Unionsverfassung von
1849 aus. Er übertrug der Reichsgewalt die Oberaufsicht und das Recht
der Gesetzgebung „über die Eisenbahnen und deren Betrieb, soweit es der
Schutz des Reiches oder das Interesse des allgemeinen Verkehres erheischt“
und fügte dann hinzu: „Ein Reichsgesetz wird bestimmen, welche Gegen-
stände dahin zu rechnen sind.“