Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 108. Die historische Grundlage. 639 
die Vergesenwärtigung der rechtlichen Grundlagen, auf denen sich 
das Eisenbahnwesen damals bewegte. Diese Grundlagen aber werden 
bezeichnet durch die Herrschaft des sog. gemischten Syste- 
mes, durch die eigentümliche Gestaltung der staatlichen Hoheits- 
rechte über die Privatbahnen und durch das freie Eini- 
gungswesen. 
1. Das Nebeneinander der beiden rechtlichen Formen der Her- 
stellung und des Betriebes der Eisenbahnen, als einer privatwirtschaft- 
liehen Unternehmung in den Privatbahnen einerseits und als 
eines Zweiges der Staatsverwaltung in den Staatsbahnen anderer- 
seits, war gleichbedeutend mit einer vollkommenen Unseleich- 
heit der Rechtsstellung. Es war in der Natur der Sache be- 
eründet, dafs der Staat gegenüber den Privatbahnen die doppelte und 
schwierige Rolle spielte, auf der einen Seite kraft seiner Staatsgewalt 
die Wahrung des öffentlichen Interesses zu vertreten und auf der 
andern Seite als Unternehmer in privatwirtschaftliche Konkurrenz zu 
treten. Und zu diesem natürlich gegebenen Umstande trat, begründet 
durch die ursprüngliche Alleinherrschaft und das wenigstens für Nord- 
deutschland andauernde Vorwiegen der Privatbahnen, der andere Um- 
stand, dafs die Gesetze, welche die Regelung der Anlage und des 
Betriebes der Eisenbahnen zum Gegenstande hatten!, sowie selbst- 
verständlich die die Stelle der Gesetze vertretenden Konzessionen 
einseitig nur die Privatunternehmungen betrafen. Den Staatsbahnen 
und Privatbahnen gemeinsam waren nur die Grundsätze des Privat- 
rechtes, insbesondere des Handelsgesetzbuches, und des Expropriations- 
rechtes. Im übrigen fanden die Staatsbahnen ihre Regelung nur 
durch Verwaltungsgrundsätze in der Form von Vorschriften des innern 
Dienstes, denen die Gemeinverbindlichkeit abging und auf die auch 
die Volksvertretung nur in budgetmälsiger Weise und in allgemeiner 
Kontrolle, vereinzelt auch bei Feststellung der Tarife einen Einfluls 
hatte. Eine Überwindung dieser Diskrepanz der Rechtslage zwischen 
den beiden Unternehmungsformen war, soweit sie vom Standpunkte 
des Einzelstaates überhaupt als möglich erachtet werden konnte, 
nirgends versucht worden. 
2. In den Gesetzen und Konzessionen für die Privatbahnen 
kommt vorzugsweise die öffentlichrechtliche Seite des Rechts- 
1 Das preufsische Gesetz über die Eisenbahnunternehmungen vom 
3. November 1838 und die bayerische Verordnung, die Erbauung von Eisen- 
bahnen betr., vom 20. Juli 1855. In allen übrigen Staaten fand — abgesehen 
von den Expropriationsgesetzen — die Regelung des Eisenbahnwesens nur 
durch Konzessionen statt.
	        
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