54 I. Buch. Die Grundlagen des deutschen Staates.
sie auch seien, auf — freilich und selbstverständlich nicht als historische
Thatsachen, aber rechtlich d. h. in ihrer rechtlichen Bindekraft:.
Von dieser Aulserkraftsetzung machte das Gesetz nur in seinem
$ 3 eine längst erledigte Ausnahme, indem es die Nummer IV des
bayerischen Vertrages fortbestehen liefs, welche den Eintritt Bayerns
in die Steuergemeinschaft des Reiches auf den 1. Januar 1872 hinaus-
schob.
Dagegen war es keine Ausnahme, wenn $& 2 des Gesetzes die in
den Text der vereinbarten Verfassung des deutschen Bundes, sowie
des bayerischen und württembergischen Hauptvertrages aufgenommenen
Bestimmungen? über die Einführung der norddeutschen Gesetze in
den süddeutschen Staaten in Kraft bleiben lies. Denn die Absicht
und die Bedeutung dieser Bestimmungen war es nicht, Verfassungs-
vorschrift zu seine; sie waren lediglich ein redaktionell nicht korrekt
mit dem Verfassungstext verknüpftes einfaches Gesetz.
II. Alles, was in der beigefügten Verfassungsurkunde geschrieben
und zu lesen steht, gilt fortan, gleichgültig warum es bisher galt,
kraft Gesetzes. Alles ohne Ausnahme steht unter der Eingangs-
formel: „Wir — Deutscher Kaiser —- verordnen hiermit im Namen
des deutschen Reiches nach erfolgter Zustimmung des Bundesrates
und des Reichstages, wie folgt.“ Soweit daher die Verfassungsurkunde
überhaupt rechtliche Dispositionen und nicht nur enuneiative Sätze
enthält, soweit sind sie gesetzliche Dispositionen ”.
III. Die beigefügte Verfassungsurkunde hat zur Absicht und zum
Erfolge, den gesamten Bestand derjenigen rechtlichen Be-
stimmungen, welche als Verfassungsgesetze im Sinne der R.V. a. 78
anerkannt sein sollten, einheitlich zusammenzufassen.
Allerdings ist dies nicht ausnahmslos dadurch geschehen, dals
alle verfassungsgesetzlichen Bestimmungen ihrem Wortlaut nach in
-
+ Das Gesetz stellt zum Überflufs dem „tritt an die Stelle“ in $ 1 das
„bleiben in Kraft“ in $ 2 gegenüber.
5 a. 80 der „Verfassung des deutschen Bundes“, III $ 8 des bayerischen,
a. 2 No. 6 des württembergischen Hauptvertrages.
6 S. auch die Motive zum Gesetzentwurfe (Drucks. d. Reichstages 1. Session
1871 No. 4).
? Selbstverständlich ist es davon verschieden und hat nichts damit zu
thun, wenn die Verfassung vorschreibt, dafs gewisse Angelegenheiten der
Regelung durch Verträge zwischen den Beteiligten anheimgestellt bleiben. So
die Regelung des den Einzelstaaten verfassungsmälsig überlassenen Anstel-
lungsrechtes der Post- und Telegraphenbeamten nach R.V. a. 50 al. 6; so
die Regelung der den Kontingentsherren verfassungsmäfsig vorbehaltenen
Rechtsstellung durch Militärkonventionen nach R.V. a. 66.