$ 111. Die Kontrolle über das Tarifwesen. 655
rechtlichen Vorschriften (dem Beförderungszwang, der Verpflichtung
gleicher Behandlung des Publikums, gewissen polizeilichen Vorschriften
über die Ordnung des Verkehrs und über das bedingte oder unbedingte
Verbot der Beförderung gefahrbringender Güter) decken. Allein diese
Bestimmungen haben es nicht zur Absicht und können es gar nicht
beabsichtigen, die einschlagenden öffentlichrechtlichen Verhältnisse
zwischen dem Staate und den Unternehmungen zu regeln. Vielmehr
stellen sie nur die Rückwirkungen dar, welche jene öffentlichrechtlichen,
nicht erst durch das Betriebsreglement begründeten und an sich von
ihm unabhängigen Vorschriften auf die privatrechtliche Gestaltung der
allgemeinen Vertraesbedingungen, auf den Inhalt der Beförderungs-
verträge zwischen dem Unternehmen und dem Publikum mit Not-
wendigkeit ausüben müssen. Und so war es anerkannten Rechtens
einerseits, dals der Erlafs der Betriebsreglements, wenn dieselben auch
in Anlafs und Rechtsfolge der Vereins- und Verbandsbeschlüsse überein-
stimmenden Inhalts waren, doch jeder einzelnen Eisenbahnunterneh-
mung in autonomischer Weise zustand, dafs aber auf der anderen
Seite, um der Wahrung des öffentlichen Rechtes willen, das in den
Betriebsreglements in seiner privatrechtlichen Wirkung zum Ausdruck
kam, die Genehmigung derselben durch die Staatsregierung erforderlich
war. Ja dieses an sich unbezweifelte Recht der Genehmigung wurde
auch hier, wie bei den Tariffestsetzungen, durch die Mitwirkung der
Staatsrevierungen bei den Vereinen und Verbänden verdeckt und
äulserte sich nur als Zustimmung zu den Vereins- und Verbands-
beschlüssen.
Es ergiebt sich nunmehr aus der unzweideutigen Fassung des
R.V. a 45, aus der klaren Feststellung ihres Sinnes durch eine Amen-
dierung im konstituierenden Reichstag und durch deren nach der
konkreten Lage des Falles mafsgebenden Motivierung, dals es in
keiner Weise die Absicht war, an dem geschilderten Rechtszustande
des Tarifwesens unmittelbar durch die Verfassung selbst und
im Vorgriff auf eine spätere specialisierende Reichsgesetzgebung zu
ändern®. Die hier dem Reiche erteilten Ermächtigungen müssen sich
5 Der Verfassungsentwurf hatte 1. in a. 43 (damals 42) die Bestimmung
aufgenommen, dafs „insbesondere gleiche Bahnpolizei — und Betriebs-
reglements — eingeführt werden“ sollten; 2. den a. 45 (damals 44) so formu-
liert: „Dem Bunde steht die Kontrolle der Tarife zu. Er wird dieselbe aus-
üben zu dem Zwecke, die Gleichmäfsigkeit und möglichste Herabsetzung der-
selben zu erreichen, insbesondere für den Transport von Kohlen u. s. w.
einen — ermäfsigten Tarif für gröfsere Entfernungen und schliefslich den
Einpfennigtarif für Centner und Meile im ganzen Bundesgebiete einzu-