Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

712 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
Seite, welche die Privatrechtspflege und die Pflege des 
öffentlichen Rechtes befalst. 
Auch dem Reiche sind hierfür weitreichende Kompetenzen ent- 
standen. Und auch hier bestimmt sich die Tragweite der Reichs- 
kompetenz nach einem doppelten Gesichtspunkte: 
l. Zunächst nach den Gegenständen, nach den einzelnen 
Zweigen, welche die Rechtspflege des Reiches ergreift. 
Für diese Feststellung ist von entscheidender Bedeutung das 
Grundverhältnis zwischen dem Privatrecht und dem öffentlichen Rechte, 
demgemäls beide nur die zwei Seiten einer rechtlichen Gesamtordnung 
derselben Lebensverhältnisse darstellen, und ebenso das Grundver- 
hältnis zwischen der Öffentlichen Rechtspflege und den materiellen 
Verwaltungszweigen des Staates, demgemäls die erstere wiederum nur 
eine Seite der letzteren bildet. Denn aus diesen Grundverhältnissen 
ergeben sich zwei Grundsätze, welche die Rechtspflege als Kompetenz 
des Reiches begründen, ohne dafs es hierzu besonderer und aus- 
drücklicher Ermächtigungen der Verfassung bedarf. 
a. Aus dem Grundverhältnis zwischen öffentlichem und Privat- 
recht folgt: Überall da, wo einer Kompetenz ein bestimmter Gegen- 
stand schlechthin unterworfen ist, da ist das Reich auch ermächtigt, 
die Regelung desselben nach beiden Seiten hin wahrzunehmen, sowohl 
der öffentlichrechtlichen als der privatrechtlichen und wiederum 
für den privatrechtlichen Bereich sowohl die Regelung des mate- 
riellen Rechtes als die der streitigen und freiwilligen 
Gerichtsbarkeit. Die Reichsgesetzgebung, welche zur Durch- 
führung der Specialklauseln der Verfassung über den Gewerbebetrieb, 
das Versicherunges-, Münz-, Bank-, Schiffahrts-, Eisenbahn-, Militär- 
wesen u. Ss. w. ergangen ist, bietet hierfür überall die Belege. Kann 
doch der jetzige Bestand des gemeinen deutschen Privatrechtes zu 
einem grofsen Teile nur aus Specialgesetzen des Reiches entnommen 
werden, welche nach Hauptinhalt und Absicht zur öffentlichen Rege- 
lung des einschlagenden Verwaltungszweiges bestimmt sind?. 
b. Aus der Stellung der öffentlichen Rechtspflege in der ge- 
samten Staatsverwaltung folgt: Überall da, wo das Reich zur öffent- 
lichrechtlichen Regelung eines Gegenstandes kompetent ist, da ist es 
auch berechtigt, zu befinden, ob die Voraussetzungen für das Ein- 
treten der öffentlichen Rechtspflege vorliegen und zutreffenden Falles 
die Regelung des Verfahrens und der Instanzen zu bewirken. Auch 
2? G.Mandry, Der eivilrechtliche Inhalt der Reichsgesetze, 2. Aufl. 1882.
	        
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