Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

714 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
welche das Wesen des Bundesstaates ausmachen, nicht heran- 
reichen. 
Aus dem bundesstaatlichen Zusammenwirken des Gesamtstaates 
und der Einzelstaaten für den Staatszweck, aus den Rechten und 
Pflichten, die sich zwischen diesen beiden Faktoren entwickeln, aus 
der Friedensordnung, die auch zwischen den Einzelstaaten als selb- 
ständiger politischer Körper herrschen muls, ergeben sich Verhältnisse, 
welche einen besonderen und eigentümlichen Stoff für die Rechts- 
pflege nicht nur bilden können, sondern im Sinne des Rechtsstaates 
bilden müssen. Und zwar liegt die hierdurch geforderte Rechtspflege 
ihrem Stoffe nach über den Bereich der Macht- und Rechtssphäre der 
Einzelstaaten hinaus. Sie kann ihre Organisation und Handhabung 
nur in der eigenen Gerichtsbarkeit des den Einzelstaaten übergeord- 
neten Gesamtstaates finden. 
Aber ein weiterer Stoff der Rechtspflege knüpft sich, wenn auch 
nieht mit gleicher Notwendigkeit, doch in natürlicher Entfaltung seines 
Wesens an den Bundesstaat an — in einer doppelten Richtung. 
Da zunächst, wo die Gesetzgebung des Bundes seinen Angehörigen 
subjektive Rechte einräumt, die ihrem Gehalte nach zugleich ver- 
fassungsmäfsige Schranken für die Gewalt der Einzelstaaten bilden 
sollen, da drängt die Natur derselben darauf hin, ihren Rechtsschutz 
nicht blofs in die Rechtsprechung der Einzelstaaten und in die Er- 
zwingung des Gehorsams dieser letzteren gegenüber dem Bundesgesetz 
als solehem zu verlegen, sondern bei dem Bunde selbst die Instanz 
zu organisieren, die den bundesverfassungsmälsigen Rechten der 
Bürger eine selbständige Bürgschaft gewährt. 
Endlich — wenn es schon schwierig ist, in dem alltäglichen Ver- 
lauf der Verwaltung aus dem Einheitsdrange der Vollziehung die 
öffentliche Rechtspflege loszulösen und sie als kontrollierende Gegen- 
organisation den andern Verwaltungsinstanzen zur Seite zu stellen, so 
steigern und häufen sich die Schwierigkeiten je höher die Parteien auf 
der Leiter der Hierarchie stehen, je mehr in den Verfassungsstreitig- 
keiten im eminenten Sinne, in der Geltendmachung der Minister- 
verantwortlichkeit der Austrag der Rechtsfrage den Austrag politi- 
scher Machtfragen in sich schliefst. Der Austrag im Sinne des 
Rechtes wird hier mit Sicherheit nur dann zu erwarten sein, wenn 
es gelingt, die Rechtsprechung in einer unbestreitbaren, beide Teile 
machtvoll überragenden Autorität zu organisieren. Und wenn gerade 
an diesem kritischen Punkte das Hindernis liegt, welches innerhalb 
des vereinzelten Staates sich nur zu oft als ein unlösbares Problem
	        
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