Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 122. Einleitung. 115 
erweist, so ist es wiederum der Bundesstaat, dem der Beruf erwächst, 
in einer den Einzelstaaten übergeordneten Gerichtsbarkeit auch in 
den höchsten Fragen des Staatslebens dem Rechte seine Geltung zu 
verschaffen. 
Kurz — der Bundesstaat hat seiner Natur nach die Fähigkeit 
und darum denn auch den Beruf, unter seine Rechtspflege nicht nur 
das zu beugen, was unter unverbundenen Staaten in letzter Instanz 
auf die Eigenmacht und Selbsthülfe gestellt ist: den Rechtsstreit 
zwischen den verschiedenen Staatswesen. Er hat nicht 
minder Beruf und Fähigkeit, den verfassungsmälsigen Rech- 
ten aller Beteiligten und den konstitutionellen Ver- 
antwortlichkeiten den Schutz eines rechtlichen Verfahrens und 
einer autoritativen Rechtsentscheidung zu gewähren, der das Recht 
über den Zufall der politischen Machtverhältnisse emporhebt. 
In der Geschichte der Bundesverfassungen bewährt sich dies. 
Die Unionsverfassung Nordamerikas in ihrem Artikel III 
hat die Gerichtsbarkeit des Bundes in erschöpfender Weise geordnet. 
Sie beruht hier auf dem fundamentalen Satze: Soweit die Kompetenz 
der Union dem Gegenstande nach reicht, soweit ist dieselbe auch be- 
rechtigt, die zur Durchführung dieser Kompetenz notwendige und 
zweckdienliche Gerichtsbarkeit zu regeln und durch eigene Gerichte 
auszuüben. Die gesetzgebende und die richterliche Gewalt decken 
sich. Vor die Bundesgerichte gehören daher — abgesehen von allen 
privaten und öffentlichen Rechtsfällen des Völker- und Seerechtes — 
alle zwischenstaatlichen Rechtsstreite — die Zwischenstaatlichkeit in 
einem Umfange genommen, dafs darunter selbst die Rechtsstreite der 
Bürger verschiedener Staaten, ja selbst der Bürger desselben 
Staates fallen, wenn sie Ansprüche auf Ländereien aus den Ver- 
leihungen verschiedener Staaten erheben. Vor allen Dingen aber be- 
stimmt sich die Kompetenz der Bundesgerichtsbarkeit dahin, dals sie 
alle Rechtsstreitigkeiten ohne Ausnahme begreift, deren Entscheidung 
ganz oder teilweise von der Anwendbarkeit oder der richtigen Aus- 
legung der Verfassung, der Gesetze und der Verträge der Union be- 
dingst ist. Hierauf gründet sich einesteils der Schutz jedes aus dem 
Bundesrecht ableitbaren subjektiven Rechtes gegenüber jedem Ein- 
griffe auch der Einzelstaatsgewalt, aber auch die Bürgschaft, dafs jede 
Überschreitung der verfassungsmälsigen Ermächtigungen des Bundes, 
geschähe sie auch in der Form eines verfassungswidrigen Gesetzes, 
von Fall zu Fall seiner praktischen Wirksamkeit entkleidet wird. 
Unter gleichen Gesichtspunkten, wenn auch nicht in derselben
	        
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