Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

726 I. Buch. Die Reichsgewalt. 
geberischen Ermessen des Reiches von Fall zu Fall anheimstellen 
mulste. 
IN. Es ist fernerhin nicht jedes Verfahren, welches in die 
Reichskompetenz fällt, sondern nur das Verfahren der Gerichte 
in. Bezug, wie auf Strafrecht, so auf bürgerliches Recht. In dieser 
letzten Beziehung begreift das gerichtliche Verfahren zweifellos auch 
die freiwillige Gerichtsbarkeit, aber allerdings nur in dem 
Umfange, als dieselbe aus zutreffenden legislatorischen Gesichtspunkten 
den Gerichten, seien dies die ordentlichen oder besonderen Ge- 
richte, übertragen wird’. Der Teil der freiwilligen Gerichtsbarkeit. 
also, der den Verwaltungsbehörden oder besonderen Urkundspersonen 
übertragen wird, und damit auch die Notariatsordnung, scheidet aus. 
der Kompetenz des Reiches aus. Jedoch greift auch hier in An- 
wendung jenes allgemeinen Grundsatzes die Erweiterung platz, dafs, 
soweit die Regelung des, den Gerichten nicht zu überweisenden Teiles 
der freiwilligen Gerichtsbarkeit die notwendige Voraussetzung der 
Gestaltung des bürgerlichen Rechtes und seiner einheitlichen Hand- 
habung ist, soweit auch diese indie Kompetenz des Reiches einbezogen 
ist. Dafür bildet die standesamtliche Eheschliefsung nach dem Ge- 
setze vom 4. Mai 1870 ein Beispiel®. 
IV. Endlich ist es nur die gemeinsame Gesetzgebung über 
das bürgerliche Recht, Strafrecht und gerichtliche Verfahren, für 
welche das Reich kompetent ist. Sein Beruf ist es nicht, parti- 
kulares Recht zu schaffen und jede partikulare Rechtsbildung auch 
da auszuschliefsen, wo sie unbeschadet der nationalen Einheit des 
Rechtes walten kann”. 
Trotz aller dieser mannigfaltigen, näheren Bestimmungen und 
Beschränkungen der Generalklausel ist die gegenständliche Kom- 
petenz des Reiches für die Privat- und Strafrechtspflege eine weit, 
umfassendere, als die der anderen Bundesstaaten. Denn die Ver- 
fassung Nordamerikas überweist der Union die Regelung des gericht- 
lichen Verfahrens nur genau so weit, als die eigene Gerichtsbarkeit 
5 So die Regelung des Aufgebots- und Entmündigungsverfahrens durch 
die Civilprozefsordnung ohne Rücksicht auf die Konkurrenz eines Streit- 
verhältnisses. 88 593 ff. 823ff.. S. Wach, Civilpr. 1 55 ff. u. 63. 
6 Nur auf den letzteren Grundsatz stützt sich die Kompetenz des Reiches 
für den „Entwurf einer Grundbuchordnung“, da derselbe die Buchführung 
durch die Gerichte nicht vorschreibt und mithin ein „gerichtliches Verfahren“ 
nicht ordnet. 
? Die nähere Erörterung über die „gemeinsame Gesetzgebung“ s. o. $ 77.
	        
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