744 II. Buch. Die Reichsgewalt.
ausdrücklicher Konstatierung der Einhaltung der verfassungsändernden
Formen® durch Gesetz vom 12. Juni 1869 das Bundes-Ober-
handelsgericht in Leipzig errichtet, „als Gegengewicht gegen die
Gefahr einer abweichenden Entwickelung des einheitlichen Rechtes
durch die Praxis und Judikatur“. Hierdurch wurde zuerst eine eigene
Gerichtsbarkeit des Reiches als oberste Instanz über die Gerichtsbar-
keit der Einzelstaaten konstituiert. Allerdings beschränkte sich die-
selbe nach Malsgabe der gesetzgeberischen Motive für die Errichtung
des Bundes-Oberhandelsgerichtes auf „Handelssachen“ in dem vom
Gesetze näher bestimmten Umfange dieses Begriffes. Allein denselben
gesetzgeberischen Motiven entsprechend, wurde die Zuständigkeit des
Oberhandelsgerichtes von Fall zu Fall auf diejenigen Teile des bür-
gerlichen Rechtes erstreckt, welche einer einheitlichen Regelung durch
Reichsgesetz unterzogen wurden. So wurde es zur obersten Instanz
in allen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, welche auf Grund der Ge-
setze über das Urheberrecht?’, des‘ Haftpflichtgesetzes vom 7. Juni
1871 (8 10), des Markenschutzgesetzes vom 30. November 1874 ($ 19),
des Patentgesetzes vom 25. Mai 1877 ($ 37), des $ 44 der Stran-
dungsordnung vom 17. Mai 1874 — entstehen. Andere Motive!’ und
andere Bestimmungen der R.V.!! führten zu anderen Erweiterungen
seiner Zuständigkeit.
Im Drange des Bedürfnisses hatte man sich bei der Errichtung
des Bundes-Oberhandelsgerichtes darüber hinweggesetzt, dafs dem
deutschen Handels- und Wechselrecht ein deutscher Prozefs nicht zur
Seite stand. Man hatte das merkwürdige und vom technisch-juristi-
schen Standpunkte immerhin bedenkliche Auskunftsmittel ergriffen, die
Zuständigkeit des Oberhandelsgerichtes als Instanz dadurch zu be-
8 Erklärung des kgl. sächsischen Bevollmächtigten in den Reichstags-
verhandlungen vom 10. April 1869 S. 293.
° Hier zugleich für die nach den Bestimmungen dieser Gesetze zu be-
urteilenden Strafsachen. S. Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 8 32, Gesetz
vom 4. Januar 1876 (Werke der bildenden Kunst) $ 16, vom 10. Januar 1876
(Photographieen) $ 9, vom 11. Januar 1876 (Muster und Modelle) $ 14.
10 Ansprüche gegen den Reichsfiskus auf Entschädigungen aus dem
Flöfsereigesetz vom 1. Juni 1870 $ 2, der Reichsbeamten und ihrer Hinter-
bliebenen aus ihren Dienstverhältnissen und auf Grund von Defektbeschlüssen,
aber auch vermögensrechtliche Ansprüche gegen Reichsbeamte aus ihren
Amtshandlungen nach Reichsbeamtengesetz vom 31. Mai 1873 85 144. 149.
152. 153. 154; Klage des Reichskanzlers auf Entziehung des Rechtes der Bank-
notenausgabe nach Bankgesetz vom 14. März 1875 $ 50.
ıı Die Erhebung des Oberhandelsgerichtes zum obersten Konsulargericht
— Gesetz vom 22. April 1871 — und zum Kassationshof für Elsafs-Lothringen
— Gesetz vom 14. Juni 1871.