Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 127. Das Reichsgericht. 145 
stimmen, dafs dasselbe an die Stelle des nach Landesgesetz bisher in 
der betreffenden Rechtssache zuständigen obersten Gerichtshofes des 
Einzelstaates trat, mithin trotz der Einheitlichkeit des Gerichtshofes die 
Normen über die bei ihm relevierenden Rechtsmittel und über sein 
Verfahren in ihrer partikularistischen Zersplitterung zu belassen !?. 
Um der Einheit des materiellen Rechtes willen setzte man sich über 
die Verschiedenheit des Prozesses hinweg. Jetzt, mit dem Erlasse der 
deutschen Justizgesetze, trat dem einheitlichen Strafrechte, den privat- 
rechtlichen Reichsgesetzen und dem, was sonst als gemeines bürgerliches 
Recht betrachtet werden konnte, die Einheitlichkeit des gerichtlichen 
Verfahrens und der Gerichtsorganisation zur Seite. Jetzt war es eine 
unweigerliche Folgerichtigkeit der Entwickelung, dafs man die bisher 
von Fall zu Fall bewirkte Erweiterung der Kompetenz zur Höhe 
eines verfassungsmälsigen Grundsatzes emporhob. Das ist geschehen 
durch die Errichtung des Reichsgerichtes. 
8 127. 
Das Reichsgericht. 
Die Stellung des Reichsgerichtes bewährt sich schlechterdings nicht 
blofs in der Aufgabe, zu seinem Teile den technisch - prozessualischen 
Anforderungen an einen wohlgeordneten Instanzenzug zu genügen. 
Sie hat im organisatorischen Gefüge des deutschen Staatswesens die 
eanz andere, grundsätzliche Bedeutung, eine anderweitige Verteilung 
der verfassungsmälsigen Kompetenzen zwischen dem Reiche und den 
Einzelstaaten auf dem Gebiete der Rechtspflege herbeizuführen. 
Allerdings — diese erundsätzliche Bedeutung hat ihren Ausdruck 
nieht in der Form einer Verfassungsklausel gefunden, welche den 
Kodifikationen des gerichtlichen Verfahrens zum beherrschenden Aus- 
gangspunkt gedient hätte. Vielmehr hat der Gang der Gesetzgebung 
dazu geführt, die Bestimmungen über das Reichsgericht ungeschieden 
einzufügen in den Rahmen des Gerichtsverfassungsgesetzes! und der 
Prozefsordnungen. Daher kann die verfassungsmälsige Grundstellung 
des Reichsgerichtes nur gewonnen werden auf Grund der Einzel- 
bestimmungen der Reichsjustizgesetze, welche den Umfang seiner Ge- 
richtsbarkeit, seine organisatorische und seine prozessualische Stellung 
des Näheren ergeben. 
12 Gesetz vom 12. Juni 1869 88 12. 16. 
! Neunter Titel; hierzu das Gesetz vom 11. April 1877 über den Sitz 
des Reichsgerichtes in Leipzig.
	        
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