154 II. Buch. Die Reichsgewalt.
Hierhin gehören die Entscheidungen, welche das Reichsgericht
als das mehreren, verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken ange-
hörigen Gerichten „gemeinschaftliche obere Gericht“ oder als das dem
Oberlandesgerichte im Instanzenzug „zunächst obere Gericht“ oder
auch bei Unbestimmbarkeit irgend einer zuständigen Landesinstanz
zu dem Zwecke zu treffen hat, um in den gesetzlich zulässigen Fällen
den Gerichtsstand kraft höheren Auftrages zu begründen °*. — —
IV. Mit allen diesen detaillierten Bestimmungen und verschränkten
Klauseln ist die Stellung des Reichsgerichtes bezeichnet. Mit ihnen
ist aber auch bezeichnet die Abgrenzung, welche die Reichsgesetz-
gebung zwischen der Gerichtsbarkeit des Reiches und der der Einzel-
staaten auf dem Gebiete der Privat- und Strafrechtspflege bewirkt hat.
Und damit erhebt sich eine letzte gewichtige Frage, die Frage
nämlich: welches ist die Bedeutung dieser Abgrenzung
für die verfassungsmäfsige Kompetenz des Reiches im
Verhältnis zu der verfassungsmäfsigen Stellung der
Einzelstaaten?
Auf der einen Seite ist. die Annahme ausgeschlossen, dals die
Summe der Detailbestimmungen und jede einzelne derselben, welche
die Kompetenz des Reichsgerichtes gegenüber den Landesgerichten
feststellen, zur Höhe von Verfassungssätzen erhoben sind. Eine dahin
gehende Absicht lälst sich im ganzen Verlauf der gesetzgeberischen
Verhandlungen auch nicht in Andeutungen entdecken. Sie würde zu
dem praktisch unannehmbaren Resultat führen, dafs jede Verschiebung
des Umfanges der ordentlichen Gerichtsbarkeit, jede Abänderung in
den Voraussetzungen der Revision und Beschwerde, in der Begriffs-
bestimmung des gemeinen Rechtes oder in der Revisionssumme, nur
in der Form der Verfassungsänderung bewirkt werden könnte.
Auf der anderen Seite: der ursprünglichen Lage der Verfassung,
der die eigene Gerichtsbarkeit des Reiches erst abgewonnen werden
24 Das ist der Fall, wenn in Strafsachen unter den an sich zuständigen
Gerichten anstatt der Prävention die Zweckmäfsigkeit über die Befassung mit
der Untersuchung und Entscheidung den Ausschlag geben soll — StrafprozelsO.
a. 12; wenn eine Verbindung zusammenhängender oder eine Trennung ver-
bundener Strafsachen angeordnet werden soll — Strafproze[sO aa. 4. 13; wenn
in Civil- oder Strafsachen sich mehrere Gerichte über ihre Zuständigkeit
streiten oder ihre Unzuständigkeit rechtskräftig ausgesprochen haben oder die
Zuständigkeit eines Gerichtes unbestimmbar ist, oder wenn die Übertragung
der Zuständigkeit eines Gerichtes auf ein an sich unzuständiges Gericht wegen
thatsächlicher oder rechtlicher Verhinderung der Ausübung des Richteramtes,
sowie bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit erforderlich ist — StrafprozelsO.
aa. 9. 14. 15. 19. CivilprozefsO. a. 36. Eg. CivilprozefsO. a. 9.