758 II. Buch. Die Reichsgewalt.
II. So wenig das Reich nach der ursprünglichen Lage der Verfassung:
um der ihm zustehenden Regelung der Privat- und Strafrechtspflege
willen befugt war, eine eigene Gerichtsbarkeit zu organisieren und aus-
zuüben, so wenig folgt aus seiner Kompetenz, bei.den zutreffenden gesetz-
geberischen Voraussetzungen eine Verwaltungsrechtspflege der Einzel-
staaten zu ordnen, das Recht einer eigenen Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Aber genau so, wie dort, mulste auch hier die Anordnung und An-
erkennung einer von den Einwirkungen des Einzelstaates wie des
Reiches unabhängigen Rechtsprechung im Gebiete des Öffentlichen
Rechtes die regelmälsige Gestaltung der Beaufsichtigung des Reiches
durchkreuzen und hemmen. Hier wie dort erzeugte der Widerspruch
zwischen der Beaufsichtigung des Reiches und der Unabhängigkeit
der Rechtsprechung das Bedürfnis, die Grenzen der verfassungs-
mälsigen Kompetenz zu erweitern.
Die Frage einer eigenen Verwaltungsgerichtsbarkeit des Reiches
in den der Vollziehung der Einzelstaaten vorbehaltenen Gebieten
wurde zuerst, gleichzeitig mit dem sächsischen Antrag auf Einsetzung
des Bundesoberhandelsgerichtes, durch den Gesetzentwurf über den
Unterstützungswohnsitz angeregt.
Der Regierungsentwurf hatte — alternativ mit dem Rechtsweg
vor den Landesgerichten — als Berufungsinstanz gegen die Ent-
scheidungen der Landesbehörden in Unterstützungsstreitigkeiten
zwischen den Armenverbänden einen besonderen Ausschuls des Bundes-
rates konstituiert, der nach einem kontradiktorischen Parteiverfahren
Recht zu sprechen hatte. Doch sollte sich seine Kompetenz be-
schränken auf den Fall, dafs die streitenden Armenverbände ver-
schiedenen Einzelstaaten angehörten.
Mit dieser Beschränkung lehnte sich der Entwurf an R.V. a. 76
an, der die Erledigung von — nicht privatrechtlichen — Streitigkeiten
zwischen verschiedenen Einzelstaaten dem Bundesrate überwies. Allein
immerhin trat auch dieser Vorschlag aus dem ursprünglichen Rahmen
der Verfassung heraus. Denn es handelte sich hierbei nicht um Streitig-
keiten, in denen die Einzelstaaten sich gegenüberstanden, sondern
vielmehr die Armenverbände durch das Gesetz als Parteien konstituiert
waren. Es handelte sich auch nicht um eine Beaufsichtigung des
Reiches über die Einzelstaaten, sondern um rechtsprechende Voll-
ziehung der Gesetze mit unmittelbarer Wirksamkeit für die Parteien.
Diese Rechtslage wurde, nachdem die noch weitergehenden An-
rechtlichen Verwaltungsstreitverfahren zu, jedoch unter Vorbehalt des Rechts-
weges gegen dieselbe.