Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

768 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
nur im Vergleich zum vereinzelten Staate, sondern selbst im Vergleich 
mit anderen Bundesstaaten einen umfangreicheren Stoff und eine er- 
höhte Bedeutung. 
Zwei grolse Gruppen lassen sich innerhalb derselben unter- 
scheiden. 
I. Die erste Gruppe wird gebildet von den Rechtsfällen, an 
denen nur die ausschliefslich durch und für das Reich gebil- 
deten Organe beteiligt sind. 
Hier kann es sich handeln um Reichs- Verfassungsstreitig- 
keiten im eminenten Sinne, um die Rechte und Pflichten der obersten 
konstitutionellen Faktoren, des Kaisers, des Bundesrates und des 
Reichstages in ihrem verfassungsmälsigen Zusammenwirken. 
Es kann sich handeln nach der Vorschrift der R.V. a. 17 und 
dem ergänzenden Gesetze vom 17. März 1878 um die Geltendmachung 
der konstitutionellen Verantwortlichkeit.des Reichskanzlers 
und seiner Stellvertreter gegenüber dem Bundesrate und dem Reichtage. 
Es handelt sich um die Geltendmachung der specifischen, von der 
straf- und privatrechtlichen Haftung -unterschiedenen Verantwort- 
lichkeit der Reichsbeamten innerhalb der Beamtenhierarchie 
und im Wege der Disciplinargerichtsbarkeit. 
Dieser letzte Fall hat seine gesetzliche Regelung nach näherer 
Malsgabe des Reichsbeamtengesetzes vom 31. März 1873! gefunden. 
Hier sind es die Diseiplinarkammern, für die ausschlielslich 
unter Militärbefehlshabern stehenden Militärbeamten die Militär- 
disciplinarkommissionen in erster Instanz, der Disciplinar- 
hof in zweiter Instanz, welche als besondere Behörden im geordneten 
Verfahren die Disciplinargerichtsbarkeit des Reiches über seine Be- 
amten wahrzunehmen haben. 
II. Die zweite Gruppe befalst die Rechtsfälle, bei denen die 
organische Stellung der Einzelstaaten in der Ver- 
fassung des Reiches zur Frage steht. Dieselbe wird nicht nur 
bezeichnet durch die Rechte und Pflichten, die verfassungsmälsig den 
1 Nach Mafsgabe des Reichsbeamtengesetzes bezieht sich die Disciplinar- 
&erichtsbarkeit überall nicht auf das Ordnungsstrafrecht — dieses ist nicht 
Gegenstand einer gesonderten Rechtspflege, sondern ungetrennter Bestandteil 
der Dienstgewalt — und ebensowenig auf die Disciplin über die Militär- 
personen des Soldatenstandes, auf richterliche Militärjustizbeamte, auf die 
Mitglieder des Rechnungshofes für das deutsche Reich, auf die Mitglieder des 
Reichsgerichtes und des Bundesamtes für das Heimatswesen — für diese ist 
die Disciplinargerichtsbarkeit mit der Kompetenz anderweitiger Behörden ver- 
schmolzen.
	        
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