$ 183. R.V. a. 78 al. 1 als Ermächtigung und Vorschrift. 775
dals der im Art. 78 gebrauchte Ausdruck Verfassung nicht die Ver-
fassungsurkunde im Ganzen, sondern nur unter Ausschlufs der Kom-
petenzbestimmungen bezeichne, nicht aus der Verfassung selbst führen,
sondern nur auf allgemeine Gründe stützen, — Gründe, die teils aus
einem nirgends positivrechtlich ausgeprägten Begriffe des Bundes-
staates, teils daraus abgeleitet wurden, dals es niemals die Absicht
der verbündeten Regierungen bei Eingehung des norddeutschen Bundes
gewesen sei, einen Einheitsstaat cum die, was ein mit der Kompetenz-
Kompetenz ausgerüsteter Bundesstaat sei, zu begründen.
Allein dieser Auffassung standen schon für die Auslegung des
Art. 738 der norddeutschen Verfassung zwei Präcedenzfälle entgegen:
das Bundesgesetz vom 16. Juni 1869, welches in Erweiterung der
formellen Kompetenzen die Errichtung eines obersten Gerichtshofes
für Handelssachen anordnete, und sodann die Annahme der Ver-
fassungsverträge niit den süddeutschen Staaten, welche, trotz ihrer
Erweiterung der materiellen Kompetenz auf das Prefs- und Ver-
einswesen, ausschliefslich durch die legislativen Organe des Bundes
und nicht im Wege des Vertrages mit den einzelnen norddeutschen
Staaten erfolgte.
Die deutsche Reichsverfassung hat sodann durch die Abänderung
des Wortlautes des a. 73 der norddeutschen Verfassung die versuchte
beschränkende Deutung absichtlich ausgeschlossen. Gerade die An-
erkennung, dafs die norddeutsche Verfassung unter Verfassungs-
änderungen auch Kompetenzänderungen befasse, bewirkte es, dals zu-
nächst auf Instanz Württembergs die zu Verfassungsänderungen bis-
her erforderliche Zweidrittel-Majorität des Bundesrates in dem badisch-
hessischen Verfassungsvertrage in eine Dreiviertel- Majorität um-
gewandelt, dals alsdann — gegenüber der bayerischen Forderung eines
Veto gegen jede Kompetenzerweiterung — durch den bayerischen Ver-
fassungsvertrag die jetzt gültige Bestimmung einer weiter dahin ge-
steigerten Majorität, dafs ihr 14 Stimmen nicht entgegenstehen dürfen,
festgestellt wurde. Diese Vorgänge, die Auffassung und Absicht zu-
nächst allerdings nur der verbündeten Regierungen zum Ausdrucke
brachten, sind auch in den Verhandlungen der legislativen Körper-
schaften über die Annahme der Verfassungsverträge nicht nur ver-
lautbart, sondern auch zum Gegenstande der Kontestation gemacht
worden. So ist eine Auslegung der Reichsverfassung, die in ihrem
Widerspruch mit dem Wortlaut des Art. 78, wenn überhaupt, nur
durch den Nachweis einer genügend bekundeten Absicht aller legis-
lativen Faktoren hätte gestützt werden können, zur Unmöglichkeit
geworden. Sie hat seit der Gründung des deutschen Reiches wie in