Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 133. R.V. a. 78 al. 1 als Ermächtigung und Vorschrift. 177 
vertragsmälsigen Grenzen zuläfst. Aulserhalb dieser Grenzen steht das 
Reich in einem völkerrechtlichen Verhältnisse der Gleichberechtigung zu 
den Einzelstaaten, welche insoweit nicht seine Glieder sind, sondern 
als singuli von der Herrschaft des korporativen Verbandes nicht er- 
sriffen werden. Das Völkerrecht entscheidet dann sowohl über die 
Zulässigkeit und die Form der Lösung und jeder Änderung des Ver- 
tragsverhältnisses, als auch über die Rechtsmittel, welche in Selbst- 
entscheidung über behauptete Vertragsverletzungen, in Rücktrittsrechten 
und äulfsersten Falles in den völkerrechtlichen Gewaltmitteln sich be- 
währen. Gerade hierin läge die besondere, aulserhalb der Verfassung 
stehende Garantie der Einzelstaaten, die der Kompetenz-Kompetenz 
Grenzen setzt?. 
G. Meyer — Staatsrechtliche Erörterungen S. 62 ff., Lehrbuch 
des deutschen Staatsrechtes $ 164 — statuiert ein solches Vertrags- 
verhältnis zwischen dem Reiche und einem jeden Einzelstaate*; 
M. Seydel — Kommentar zur Verfassungsurkunde S. 14 fl. — 
läfst dasselbe zwischen allen Einzelstaaten unter sich bestehen. 
3 Wenn freilich in einer solchen Rechtslage ein besonderer politischer 
Wert und auch dem praktischen Erfolge nach ein besonderer Schutz der 
Einzelstaaten im Vergleiche mit dem Werte und Schutze des Verfassungs- 
rechtes gefunden werden wollte, so wäre das gegenüber den bestehenden 
Machtverhältnissen ein sonderbarer Köhlerglaube. 
* Durchaus undeutlich und unerklärt bleibt es hierbei, wodurch denn 
das Vertragsverhältnis zwischen dem Reiche und jedem Einzelstaate be- 
gründet worden ist. Meyer giebt zu, dafs der Eingang der Verfassung 
seinem Wortlaute nach nur als Vertrag zwischen den Einzelstaaten, beziehungs- 
weise zwischen dem norddeutschen Bund, als „Kollektivbegriff“ der einzelnen 
norddeutschen Staaten — Erörterungen S. 62 —, und den süddeutschen Einzel- 
staaten aufgefalst werden könnte. „Da jedoch“ — so sagt er Lehrb. d. d. Staatsr. 
S. 484 — „diese Verträge nicht blofs obligatorische Rechte und Verbindlich- 
keiten unter den Kontrahenten begründet, sondern ein neues Gemeinwesen 
geschaffen haben, so stehen die vertragsmäfsigen Rechte den beteiligten 
Staaten nicht gegenüber den einzelnen übrigen Staaten, sondern gegenüber 
dem Reiche zu“. Allein das ist ein Trugschlufs. Denn wenn die Verträge 
ein Gemeinwesen schufen, so kann aus dessen Verfassung folgen, dafs das- 
selbe zu dem Schutze der Einzelstaaten verpflichtet ist, den die letzteren bei 
der vertragsmälsigen Gründung vor Augen hatten. Aber das ist gesetz- 
liche Schutzpflicht, die auf Grund und nach Mafsgabe der Verfassung ge- 
leistet wird. Ein vertragsmäfsiges und zwar — denn das ist die Schutz- 
pflicht als Inhalt eines Vertrages — obligatorisches Verhältnis zwischen 
dem Reiche und den Einzelstaaten neben und aufserhalb der Verfassung 
ist durch den vertragsmäfsigen Bundesschlufs der Einzelstaaten unter 
einander in keiner Weise begründet. Ein solches bedürfte des Nachweises 
seiner besonderen Entstehung, der nirgends und am wenigsten aus dem 
Eingange der Verfassung geführt werden kann.
	        
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