Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 134. Die Formen der Kompetenz-Kompetenz etc. 791 
Es mag an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob eine solche Praxis 
die Kraft einer authentischen, die gesetzgebenden Faktoren selbst und 
die Gerichte bindenden Interpretation definitiv für sich in Anspruch 
nehmen kann. Ihre Rechtsverbindlichkeit ist zur Zeit nicht bestritten. 
Damit ist ein doppeltes Ergebnis herbeigeführt. 
Es trifft zunächst den Rechtsschutz der Einzelstaaten 
gegenüber Kompetenzüberschreitungen des Reiches. 
Nach Malsgabe der Unionsverfassung Amerikas entsteht auch den 
Einzelstaaten der Rechtsschutz gegen Übergriffe der Bundesgewalt 
nach dem durchgreifenden Grundsatze, dals die Verfassungsmäßigkeit 
aller, auch der gesetzgeberischen Akte des Bundes von Rechtsfall zu 
Rechtsfall der Prüfung der Gerichte unterliest. Die Bundesgerichts- 
barkeit ergreift aber jeden Rechtsfall ohne Ausnahme, dessen Ent- 
scheidung von der Gültigkeit oder der Auslegung der imperativen 
oder ermächtigenden Rechtssatzungen des Bundes bedingt ist. 
Die Verfassung der Schweizer Eidgenossenschaft konstituiert das 
Bundesgericht insbesondere mit der Kompetenz, alle Kompetenz- 
konflikte zwischen den Bundesorganen einerseits und den kantonalen 
Organen andererseits zu entscheiden, aber allerdings nur unter 
Bindung des Bundesgerichtes an die von der Bundesversammlung er- 
lassenen Gesetze und allgemein verbindlichen Beschlüsse, ein- 
schliefslich der von ihr genehmigten Staatsverträge®°. 
Verfassungsfrage nicht gestellt hat, fast gegenstandslos geworden ist; 
denn wenn die Majorität des Reichstages das Gesetz annimmt, so ist damit 
auch die Frage über die Änderung der Verfassung endgültig entschieden“. 
Bevollmächtigter zum Bundesrat Stephan — ebenda S. 812 — nach vor- 
gängiger Bestreitung der Kompetenz: „Was die Frage der Kompetenz betrifft, 
so habe ich hier auf dieselbe gar nicht einzugehen, nachdem die Thatsache 
vorliegt, dafs Sie einen Gesetzentwurf vor sich haben, der im Bundesrate die 
Zustimmung der verbündeten Regierungen erhalten hat.“ Windthorst 
— ebenda S. 815 — behauptet dagegen nur, dafs, wenn der Bundesrat die 
Kompetenz in einer unrichtigen Weise ausdehne, der Reichstag gegen eine 
solche Vorlage Einspruch erheben könne. — In der Kommission zur Beratung 
des Entwurfes des Gesetzes vom 5. April 1886 über Erhebung einer Schiff- 
fahrtsabgabe auf der Unterweser wurde der Antrag angenommen: „Die 
Kommission erblickt in der Annahme des Gesetzes eine Abweichung von den 
Bestimmungen unter a. 54 Abs. 4 al. 1 der R.V.; nach den Erklärungen des 
Herrn Staatssekretärs v. Bötticher in der Sitzung des Reichstages vom 
12. März, wonach gegen den Gesetzentwurf weniger Stimmen sich erklärt haben, 
als erforderlich sind, um eine Verfassungsänderung zu verhindern, erachtet 
die Kommission aber die etwa aus dem a. 54 der R.V. herzuleitenden Be- 
denken bei Annahme des Gesetzentwurfes im Reichstage für erledigt.“ 
Sten. Ber. des Reichstages vom 18. März 1886 S. 1542. 
9 Schweizer Bundesverf. a. 113.
	        
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