Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

796 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
Suveränetät der Einzelstaaten“ darstellen. Denn die rechtliche Über- 
tragung irgend welcher Öffentlichen oder privaten Rechte entscheidet 
für sich allein schlechterdings nicht, ob diese Rechte in der Hand des 
Erwerbers nur die Ausübung fremden Rechtes werden oder eigenes, 
von der rechtlichen Innehabung des Übertragenden vollkommen los- 
gelöstes Recht sind. Darüber entscheidet der Inhalt der rechtlich 
malsgebenden Willensbestimmungen, für das Reich allein seine Ver- 
fassung. 
Diese Reichsverfassung aber spricht die gesamte Kompetenz dem 
Reiche zur Innehabung und zur Ausübung durch seine Organe weder 
ausdrücklich noch andeutungsweise in irgend einem anderen Sinne 
zu, als die Verfassung jedes Einheitsstaates und als die Verfassungen 
der Einzelstaaten diesen Staaten und ihren Organen ihre Kompetenzen 
zur Innehabung und zur Ausübung zusprechen. 
4. Allein mit dem allen ist der letzte und ausschlaggebende 
Punkt im Vergleich mit dem Einheitsstaate noch nicht getroffen. 
Das ist sein speeifisches und besonderes Merkmal, das den Ein- 
heitsstaat von allen auf seinem Gebiete wirksamen socialen Elementen, 
insbesondere von den ihm dem Organisationsprincipe nach gleichartigen 
korporativen Verbänden unterscheidet, dafs er ihnen allen gegenüber 
eine oberste Leitung behufs ihrer Einordnung in einen Gesamtplan 
der Gesellschaft beansprucht und behauptet. Er ist es, der die letzte 
Bürgschaft dafür übernimmt, dafs den Individuen und ihren mannig- 
fachen Verbindungsweisen die Freiheit und die Begrenzung ihrer 
Thätiekeit, sowie die berechenbaren Formen ihres Zusammenwirkens 
bestimmt und gewahrt werden, welche für ihre gesellschaftliche Wirk- 
samkeit notwendig und förderlich sind. Er ist es, der darüber zu 
wachen hat, dais die Leistungen für die Kulturentwickelung des Volkes, 
‚die von jenen anderen gesellschaftlichen Organisationsformen über- 
haupt nicht oder nicht in zulänglicher Weise beschafft werden, durch 
die nachhelfenden und ergänzenden Ordnungen, Verrichtungen und 
Veranstaltungen seiner eigenen zusammengefalsten Kraft und Orea- 
nisation bewerkstelligt werden. 
Diese höchste Aufgabe des die ganze Volksgemeinschaft umfassenden 
korporativen Verbandes, ausgerüstet mit den zureichenden Macht- und 
Rechtsmitteln, ist die Suveränetät des Staates. 
Und diese höchste Aufgabe ist es, die für das deutsche Volk und 
sein Staatswesen dem deutschen Reiche zufällt. Sie findet ihre 
positivrechtliche Gestaltung in der Kompetenz-Kompetenz des 
Reiches. 
Stellen die in der Reichsverfassung begründeten Kompetenzen den
	        
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