Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 136. Die Staatsart der Einzelstaaten. 801 
recht über ihr Gebiet zu, nur entsprechend ihrer allgemeinen Rechts- 
stellung unter im Verhältnis zum Staate verstärkten Beschränkungen. 
Vielmehr — die Einzelstaaten unterscheiden sich von den Selbst- 
verwaltungskörpern an dem entscheidenden Punkte, der das Wesen 
der Selbstverwaltung ausmacht. Der Begriff der Selbstverwaltung aber 
wird nach Malsgabe des positiven Rechtes nicht sowohl dadurch kon- 
stituiert, dafs der Staat negativ diejenigen Grenzen, die er durch 
seine Rechtsordnung den in ihm waltenden socialen Organisationen zieht, 
gegen jede Überschreitung wahrt — dieses Recht steht dem Reiche 
auch gegenüber dem selbständigen Wirkungskreise der Einzelstaaten 
zu — sondern positiv dadurch, dafs die Erfüllung der den Selbst- 
verwaltungskörpern obliegenden Aufgaben als öffentlichrechtliche Pflicht 
gegenüber dem Staate konstituiert ist, die er mit den ihm gesetzlich 
zu Gebote gestellten Mitteln zu überwachen und erforderlichen Falles 
zu erzwingen hat’. 
Dieses Pflicht- und Verantwortlichkeitsverhältnis waltet zwischen 
dem Reiche und den Einzelstaaten in ihrem selbständigen Wirkungs- 
kreise nicht ob. Die letzteren sind in der Erfüllung der ihnen nach 
ihrer Verfassung gesetzten Aufgaben frei von allen gesetzlichen 
Direktiven, frei von allen Rechten der Kontrolle und des Zwanges 
von seiten des ersteren. 
Aber — obwohl die Einzelstaaten Selbstverwaltungskörper nicht 
sind und trotz ihrer selbständigen Rechtssphäre — ermangeln ihnen für 
den Begriff des Staates, wie er am Einheitsstaate typisch ausgebildet 
ist, wesentliche und entscheidende Merkmale. 
Ist dies Zeichen des Staates, dals er in seinem Innern für alles, 
was den Staatszweck ausmacht, keine andere Autorität duldet als die 
seinige, dals er hierfür in Ausschliefsung jeder fremden, von ihm un- 
abhängigen und unmittelbaren Herrschaft über seine Angehörigen allein 
wirksam ist, so greift in das Innere. jedes Einzelstaates, frei von seinen 
Direktiven und Kontrollen, eine Macht ein, die für den Staatszweck 
wirkt und darum herrschend und gewährend die Unterthanen und 
Bürger in ein unmittelbares Pflicht- und Rechtsverhältnis zu sich selbst 
versetzt. 
Ist dies ein anderes Zeichen des Staates, dals er nach seinem 
freien, planvollen und überschauenden Ermessen sich die konkreten 
Aufgaben setzt, die er zu seinem Teile in Abgrenzung und im Zu- 
sammenwirken mit den anderen gesellschaftlichen Organisationen an 
18.829. 
Binding, Handbuch. V. 1: Hänel, Staatsrecht. I. ol
	        
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