Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

802 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
der Kulturarbeit der Nation übernimmt, so stölst der Einzelstaat auf 
eine Macht, die nicht nur negativ grolse Teile der Staatsaufgaben 
seiner Einflulsnahme vollständig entzieht, sondern die in der Kompe- 
tenz-Kompetenz das verfassungsimälsige Recht besitzt, positiv nach 
ihrem Ermessen und nach ihrem Plane die Verteilung der Staats- 
aufgaben zu bewirken und damit ihrerseits die Rolle zu bestimmen, 
die dem Einzelstaate im Zusammenspiel der gesellschaftlichen Kräfte 
zufallen soll. 
Unrichtig ist es daher, dem Einzelstaate Universalität des 
Zweckes in dem Sinne zuzuschreiben, wie sie dem Einheitsstaate 
zusteht. Denn wenn auch die Reichsverfassung den Wirkungskreis 
des Einzelstaates negativ und darum allgemein durch alles bezeichnet, 
was dem Reiche verfassungsgemäls nicht zugeschrieben ist, so ist 
darum nicht minder der Einzelstaat von gewichtigen Staatsaufgaben 
ausgeschlossen und steht darum nicht minder allein dem Reiche die 
rechtliche Möglichkeit zu Gebote, sich in herrschende Beziehung zu 
allen, auch dem anderen Teile zunächst vorbehaltenen Aufgaben 
zu Setzen. 
Unzutreffend in jedem Sinne ist es nicht minder, von einer 
Suveränetät einzelner privilegierter Einzelstaaten darum zu sprechen, 
weil Preufsen kraft seiner, eine Verfassungsänderung nur mit seiner 
Zustimmung zulassenden Stimmenzahl im Bundesrate den einzelnen 
Ausübungsakt der Kompetenz-Kompetenz des Reiches und weil die 
mit Sonderrechten begabten Einzelstaaten jeden Eingriff in diese 
durch verneinende Abstimmung hindern können? Als ob — ganz 
abgesehen davon, dafs dieses Recht ihnen nicht in ihrer auf sich selbst 
bezogenen, einzelstaatlichen Eigenschaft, sondern nur als stimmberech- 
tisten Mitgliedern des Reiches und innerhalb dessen Organen gebührt —, 
die negative Einwirkung auf die Rechtsausübung des Reiches sie selber 
von der Herrschaft des Reiches in ihrem Innern frei machte und 
ihnen selbst positiv die freie Bestimmung ihres staatlichen Wirkungs- 
kreises zurückgäbe. 
In keinem Sinne und in keiner Wendung steht nach dem posi- 
tiven Rechte Deutschlands irgend einem Einzelstaate die Suve- 
ränetät zu. Damit ist es entschieden, dals die Einzelstaaten, ge- 
messen am Einheitsstaate, Staaten nicht sind. 
Allerdings handelt es sich nicht um eine Frage der Termi- 
8 Brie s. $ 31 Note 16. 
®° Brie und Bornhak s. $ 31 Note 14 u. 16.
	        
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