$ 137. Der deutsche Staat. 803
nologie. Auch hier besteht, wie überall in terminologischen Fragen,
keine wissenschaftliche Nötigung, welche es ausschlösse, das einen
bestimmten Thatbestand verdeutlichende Wort „Staat“ nach dem
Bedarf des vorliegenden Falles als Bezeichnung eines neu gebildeten
Begriffes zu verwenden.
Die Reichsverfassung selbst spricht — abweichend hier von der
Schweizer Verfassung — den Einzelstaaten nirgends Suveränetät zu
und sie bezeichnet dieselben regelmäfsig nur in der Determinierung
als „Bundesstaaten“ oder auch „Einzelstaaten“.
Der Sache nach aber ist die Bezeichnung des Einzelstaates als
Staat eine Erweiterung des Begriffes, die gerade das an erster und
oberster Stelle entscheidende Merkmal eliminiert, welches das charak-
teristische Wesen der Erscheinung, für die der Begriff gebildet wurde,
ausmacht: die Suveränetät. Der Sache nach hat nach einer nur
kurzen, 60jährigen Übergangszeit eine historische Rückbildung der
politischen Gliederungen des deutschen Volkes stattgefunden. Wie die
deutschen Territorien, mit Ausnahme derjenigen, die Reichsausland
waren, nur in allmählicher Lockerung des Reichsverbandes und schliels-
lich nur durch einen revolutionären Akt der Secession zu suveränen
Staaten geworden sind, so ist ihre Rechtsstellung durch die Erneuerung
des deutschen Reiches, wenn auch umgebildet im Sinne des modernen
Staates, zurückgeführt auf das, worauf sie historisch allein einen
Anspruch haben, auf Landeshoheit. Die deutschen Fürsten unter
dem Reiche aber sind der Hofetikette nach Suveräne, dem Rechte nach
wiederum Landesherren.
& 137.
Der deutsche Staat.
Die Annahme ist ein Irrtum, als ob aus dem abstrakten Be-
griffe Herrschaft und dem abstrakten Prädikate des „höchsten“,
„suveränen“, die Unmöglichkeit logisch gefolgert werden könnte, dals
zwei suveräne Herrschaften auf demselben Territor und für dieselbe
Volksgemeinschaft nebeneinander bestehen könnten. In abstrakter
Betrachtung läfst sich ohne jeden Widerspruch eine vollkommene
sachliche Trennung der Aufgaben und damit des Wirkungskreises
zweier Gemeinwesen denken und für jedes dieser Gemeinwesen die
Selbstgenugsamkeit, die Ausstattung mit allen für seine Aufgaben
notwendigen und darum innerhalb seines Wirkungskreises höchsten
Rechts- und Machtmitteln. Die formale Logik kann der Bundesstaats-
Theorie des Federalisten, Tocquevilles, Waitz’' und deren Schule
51*