Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

816 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
und Schutz ihrer Reservatrechte. Denn wie alles und jedes objektive 
Recht, so hat auch das Staatsrecht keinen anderen Sinn, als den 
Malsstab zu bilden für die Auseinandersetzung subjektiver Rechte 
und Pflichten, hier unter den Organen und Mitgliedern des Staates. 
Allerdings steht der Staat, als Gesamtheit seiner Organe auf- 
gefalst, zu dem subjektiven Rechte seiner Mitglieder in einem anderen 
und eigentümlichen Verhältnisse im Vergleiche mit dem Rechtsver- 
hältnisse jedes, dem Staate eingeordneten, in diesem weiten Sinne 
privaten, korporativen Verbandes zu seinen Mitgliedern. 
Der private korporative Verband ist in allen seinen Rechten be- 
schränkt durch den ihm durch seine Verfassung gesetzten, ihn be- 
herrschenden und in der objektiven Rechtsordnung anerkannten Gemein- 
zweck. Daraus folgt es, dafs derselbe über subjektive Rechte, die 
dem Gemeinzwecke frenıd sind, keine „Kompetenz“ besitzt. Diese 
Rechte sind aber doppelter Art: 
solche subjektive Rechte, die überhaupt zu dem verfassungs- 
mäfsigen Gemeinzwecke in keiner Beziehung stehen. Es sind dies 
die jura singulorum im technischen, historisch hergebrachten 
Sinne, welche der Westfälische Friede — art. V cap. 19 des Osna- 
brücker Instrumentes — für das ehemalige Reich als „negotia, ubi 
status tamquam unum corpus considerari nequeunt“, die Wiener 
Schlufsakte a. 15 für den deutschen Bund als „Fälle, wo die 
Bundesslieder nicht in ihrer vertragsmäfsigen Einheit, sondern 
als einzelne, selbständige und unabhängige Staaten erscheinen“, 
definierte; 
solche subjektive Rechte, die zwar den Mitgliedern nur durch 
ihr Verhältnis zum korporativen Verbande erwachsen können, die 
aber, wenn sie rechtsgültig erworben sind, nach den Vorschriften 
der korporativen Verfassung selbst zu Individualrechten 
werden. Hier ist es nur Erfüllung des verfassungsmälsigen Zweckes 
selbst, dals durch die Verrichtungen und Veranstaltungen des 
korporativen Verbandes der Individualsphäre des Mitgliedes sub- 
jektive Rechte zugeführt werden, welche sich aus der Gemeinschaft 
loslösen. Sie sind wohlerworbene Rechte in dem eminenten 
Sinne!, dafs sie, von dem Augenblicke an, wo sie dies geworden 
sind, nicht minder der verfassungsmälsigen Kompetenz des kor- 
porativen Verbandes entrückt sind, wie die jura singulorum. 
1 Im weiteren Sinne versteht man unter wohlerworbenem Rechte solche 
Rechte, die nicht nur die rechtliche Fähigkeit zum Erwerbe von Rechten, 
sondern die auf Grund einer solchen Fähigkeit verwirklichten subjektiven 
Rechte sind.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.