818 II. Buch. Die Reichsgewalt.
Rechte der Einzelstaaten gegenüber dem Reiche im Falle eines
Rechtsstreites verfassungsmälsig zu Gebote steht. Ebenso würde,
wie in jedem anderen Falle, eine Verordnung des Reiches, welche
einseitig in Reservatrechte eingreift, rechtsungültig sein. Denn es
besteht keinerlei Ermächtigung irgend einer Instanz, durch ihre Ver-
ordnung Vorschriften der Verfassung oder der unter Mitwirkung
der legislativen Faktoren entstandenen Verträge aufser Anwendung
zu setzen. Gegenstand einer besonderen Frage ist der Rechtsschutz
der Reservatrechte daher nur gegenüber der Gesetzgebung des
Reiches. Sie aber empfängt eine verschiedene Antwort je nach der
Verschiedenheit der rechtlichen Begründung des in Frage stehenden
Reservatrechtes.
Gründet sich dasselbe auf die Nebenverträge, so ist es nach
der historischen Entstehung der letzteren, nach den legislatorischen
Formen, in denen sie Geltung gewannen und als fortdauernd an-
erkannt sind, nach ihrem Wortlaut und ihrer Absicht über jeden
Zweifel erhaben, dafs ein Eingriff der Gesetzgebung in das Reservat:
recht einen durch nichts zu rechtfertigenden Rechtsbruch bewirkt. Allein
trotzdem bietet die Reichsverfassung keinerlei besondere Bestimmung
und keinerlei Anhalt, um ein Gesetz, welches in den gemeingültigen
verfassungsmälsigen Formen entstanden ist, darum, weil es seinem
Inhalte nach gegen vertragsmälsige Zusagen des Reiches verstölst, auch
formell als rechtsungültig und rechtsunverbindlich zu erklären. Ein
solches Gesetz würde materielles Unrecht, aber formelles Recht sein,
wie jedes andere Reichsgesetz, wenn es in subjektive Rechte, sei es
der Einzelstaaten, sei es der Reichsangehörigen, eingreift, die nach
positivem Rechte als wohlerworbene Rechte im eminenten Sinne an-
erkannt sind oder wenn es nach Willkür einzelnen Gliedstaaten be-
sondere Privilegien einräumt oder besonders erschwerende Ver-
pflichtungen auferlegt.
Dagegen hat die Reichsverfassung in Rücksicht auf die Reservat-
rechte, die durch ihre Vorschriften beeründet sind, besondere Be-
stimmungen getroffen, welche einen besonderen Schutz gewähren. Es
ist dies geschehen durch al. 2 der R.V. a. 78, welcher besagt:
„Diejenigen Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche
bestimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältnis zur
Gesamtheit festgestellt sind, können nur mit Zustimmung des
berechtigten Bundesstaates abgeändert werden.“
Die Bestimmung, in ihrer Isolierung betrachtet, ist eine un-
vollständige. Sie fordert als eine besondere Bedingung für einen
bestimmten Fall der Verfassungsänderung die Zustimmung des be-