$ 141. Die Entwickelung des Reichslandes. 827
Mischung, teils in einer historischen Abfolge, die sich auf drei Zeit-
räume verteilt.
1. Bis zur Einführung der Reichsverfassung kon-
zentrierte sich die Staatsgewalt über Elsafs-Lothringen in streng mon-
archischer Gestaltung in der Hand des Kaisers. Er war Inhaber so-
wohl der Gesetzgebung als auch der Vollziehung und zwar unter-
schiedslos in allem, was rechtliche Wirksamkeit im Reichslande be-
haupten oder gewinnen sollte.
Eine konstitutionelle, formelle Schranke fand der Kaiser nur
darin, dafs er zu seinen Gesetzgebungsakten überall der Zustimmung
des Bundesrates bedurfte, überdies aber der Zustimmung des Reichs-
tages, wenn es sich um Abänderungen oder Ergänzungen solcher ein-
zelner Teile der Reichsverfassung, die verfrüht schon jetzt eingeführt
werden sollten, oder um die Aufnahme von Anleihen oder um die
Übernahme von Garantieen für Elsafs-Lothringen handelte, durch welche
irgend eine Belastung des Reiches herbeigeführt wurde.
Eine materielle Schranke sodann entstand dem Kaiser dadurch,
dafs die Reichsverfassung zum 1. Januar 1873 — nach dem fristerstrecken-
den Gesetze vom 20. Juni 1872 zum 1. Januar 1874 — in Wirksamkeit
treten sollte und mithin alle Akte der Gesetzgebung und Vollziehung
diesem Ziele angepafst werden mulsten.
2. Mit dem Eintritte der Rechtskraft der Reichsver-
fassung, deren Einführung durch das Reichsgesetz vom 25. Juni
1873 geregelt wurde, empfing die staatsrechtliche Stellung .des Kaisers
eine wesentliche Umwandlung; die monarchische Konzentration der
Staatsgewalt über Elsals-Lothringen fand ihr Ende.
Von jetzt an stand das Recht der Gesetzgebung den zur gemein-
gültigen Gesetzgebung im Reiche berufenen Organen — dem Bundes-
rate und Reichstage in verfassungsmälsiger Gemeinschaft — zu; die
Rechte des Kaisers schwächten sich zur Ausfertigung und Verkündigung
der Gesetze ab. Nur das aulserordentliche Recht verblieb dem Kaiser
nach näherer Bestimmung des & 8 des Einführungsgesetzes während
Nichtversammlung des Reichstages und vorbehaltlich seiner nachträg-
lichen Genehmigung Verordnungen mit gesetzlicher Kraft unter Zu-
stimmung des Bundesrates zu erlassen.
Allein die hiermit bewirkte Umwandlung hat keinerlei Beziehung
auf die Unterschiede der Kompetenzen. Die Reichsgesetzgebung in
den gemeingültigen Formen erstreckt sich auf alle Angelegenheiten
des Reichslandes, gleichgültig ob es sich inhaltlich um ein Reichsgesetz
innerhalb der gemeingültigen Kompetenz des Reiches: oder aulserhalb
derselben um ein elsals-lothringisches Specialgesetz handelte.