Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

72 I. Buch. Die Grundlagen des deutschen Staates. 
wurde unter dem 14. April 1852 und 20. Juni 1856 revidiert, durch 
eine Reihe späterer Gesetze amendiert und durch das Wahlgesetz vom 
17. Januar 1871 und 8. Mai 1874 ergänzt ®®. 
5. Im Königreiche Preufsen bewirkten es die feste Fügung, 
welche das Staatswesen seit dem Grolsen Kurfürsten gewonnen hatte, 
sowie die durchgreifenden Reformen, die insbesondere während der 
Befreiungskriege ins Leben traten, dals die politische Notwendigkeit 
einer Umbildung seiner Verfassung trotz der gebotenen Einordnung 
der neuerworbenen Landesteile minder scharf hervortrat als in den 
süddeutschen Staaten. Die Verordnung „über die zu bildende Re- 
präsentation des Volkes“ vom 22. Mai 1815 führte zunächst nur zu 
dem Gesetze vom 5. Juni 1823 wegen Anordnung der Provinzialstände, 
infolgedessen für die einzelnen Provinzen Vertretungen nach Zusammen- 
setzung, Beschlulsformen und Zuständigkeit durchaus im Geiste 
des altständischen Systems geschaffen wurden. Nachdem alsdann 
durch das Patent vom 3. Februar 1847 die Bildung des „vereinigten 
Landtages“ angeordnet worden war, führten die Ereignisse des Jahres 
1848 auch hier zur Einführung der konstitutionellen Verfassung. Auf 
Grund der vom vereinigten Landtage genehmigten Gesetze vom 6. und 
8. April 1848 über die Wahlen für die zur Vereinbarung der Staats- 
verfassung zu berufende Versammlung und über einige Grundlagen 
der künftigen Verfassung trat die „preulsische Nationalversammlung“ 
zusammen. Sie wurde aber ohne Ergebnis aufgelöst und die Ver- 
fassung vom 5. Dezember 1848 mit der Klausel octroyiert, dals sie 
sofort nach dem ersten Zusammentritt der Kammern einer Revision 
auf dem Wege der Gesetzgebung unterworfen werden sollte. - Jedoch 
auch mit den auf Grund der Wahlgesetze vom 6. Dezember 1848 ge- 
wählten beiden Kammern gelang eine Vereinbarung nicht. Dies ge- 
schah erst, nachdem die zweite Kammer aufgelöst und nach dem aber- 
mals octroyierten Wahlgesetze vom 30. Mai 1849 erneuert worden 
war. Die revidierte Verfassung wurde unter dem 31. Januar 1850 
als „Staatsgrundgesetz“ verkündiet. 
Die preufsische Verfassungsurkunde hat in einer langen Reihe 
ihrer Artikel wesentliche Abänderungen erfahren. Sie entstammen 
teils der politischen Richtuug, die bis zum Jahre 1857 die herrschende 
war — unter ihnen ist das Gesetz vom 7. Mai 1853 betreffend die 
Bildung der ersten Kammer das einschneidendste —, teils dem Kon- 
flikte mit der katholischen Kirche — hierher gehört das Gesetz vom 
18. Juli 1875 über die Aufhebung der Artikel 15, 16 und 18 —, 
282 R. Müller, Das Staatsrecht d. Fürstent. Reufs j. L., 1. c. S. 189 ff.
	        
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