Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 144. Das Wesen der Kolonialgewalt. 843 
Kolonialgewalt dagegen ist in diesem Betracht eine einseitige 
Herrschaft. Sie ist Schutzherrschaft über die Schutzgebiete und 
ihre Bevölkerung nicht im Interesse dieser, sondern im Interesse 
des Reiches und seiner Angehörigen. 
In diesem ihren, insbesondere durch das Schutzgebietsgesetz 
positivrechtlich ausgeprägten Wesen ist es begründet, dals die Kolo- 
nialgewalt eine durchaus verschiedene rechtliche Bedeutung gewinnt 
gegenüber den verschiedenen Personenkreisen, über die sie in den 
Scehutzgebieten herrscht: gegenüber den Reichsangehörigen, gegenüber 
den Angehörigen fremder Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft und 
gegenüber der eingeborenen Bevölkerung. 
l. Die Reichsangehörigen in den Schutzgebieten sind nach 
wie vor Angehörige des Reiches. , Allein sie sind, gemessen an dem 
semeingültigen Gehalt der Reichsangehörigkeit, nicht nur dies. Sie 
haben nicht nur den allgemeinen verfassungsmälsigen Anspruch aller 
Deutschen auf Schutz des Reiches auch im Auslande. Vielmehr ist 
ihnen dadurch, dafs das Reich von seiner Kompetenz zur Kolonisation 
Gebrauch gemacht hat und durch die in Verfolg dessen ergangenen 
Beichsgesetze eine besondere Rechtsstellung gegenüber dem Reiche 
eingeräumt. In den Schutzgebieten, in denen es an den gemein- 
gültigen Voraussetzungen der Reichskompetenz, an der. Wirksamkeit 
einer Staatsgewalt sowohl des deutschen Einzelstaates als eines anderen 
eivilisierten Staatswesens mangelt, erwächst dem Reiche in seiner 
Kolonialgewalt die gesetzliche Aufgabe, die in den Schutzgebieten 
mangelnde Staatsgewalt zu ergänzen dadurch, dafs sie daselbst den 
Reichsangehörigen die Bedingungen einer ausreichenden Rechtsordnung 
gewährt und ihren Interessen Förderung angedeihen lälst — das 
letztere selbstverständlich nicht in Bürgschaft für jedes gewagte 
Unternehmen, sondern innerhalb der Grenzen, die durch die an- 
erkannten Ziele der deutschen Kolonialpolitik bezeichnet sind. 
Diese Aufgabe liegt zu ihrem Teile der „Schutzgewalt“ des 
Kaisers ob. Sie ist aber auch zu einem anderen entscheidenden und 
wesentlichen Teile unmittelbar durch die Reichsgesetzgebung selbst 
erfüllt. 
Das Schutzgebietsgesetz vom 19. März 1888 schreibt die Er- 
streckung des Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit vom 10. Juli 
1879 und des Gesetzes vom 4. Mai 1870, über die Eheschlielsung 
und die Beurkundung des Personenstandes von Reichsangehörigen im 
Auslande, auf die deutschen Schutzgebiete vor?, indem es zugleich 
3 Allerdings ist das Inkrafttreten beider Gesetze für jedes Schutzgebiet 
bedingt durch eine kaiserliche Verordnung, aber nicht in dem Sinne, dals das
	        
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