846 II. Buch. Die Reichsgewalt.
besonderer Bestimmung der Einführungsverordnungen, zu der der
Kaiser durch $ 3 No. 1 des Schutzgebietsgesetzes ermächtigt war,
auch auf die Angehörigen der anderen Staaten.
3. Im vollen Gegensatze hierzu steht das Rechtsverhältnis der
Kolonialgewalt zu der eingeborenen Bevölkerung. Sie ist ihr
gegenüber weder Staatsgewalt noch auch diejenige Schutzherrschaft,
welche von der Staatsgewalt über „Fremde“ nach Völker- und Staats-
recht ausgeübt wird. Ihr gegenüber spricht sich das Reich die Auf-
gabe des Staates ab:
„Es gehört nicht in das Programm der deutschen Kolonial-
politik, für die Herstellung staatlicher Einrichtungen unter bar-
barischen Völkerstämmen einzutreten und dort eine unseren An-
schauungen entsprechende Ordnung der Verwaltung und Justiz
herzustellen“ °.
Das gilt selbstverständlich für die weiten Plächen der Schutz-
gebiete, über welche das Reich eine effektive Herrschaft überhaupt
nicht ausübt, auf denen es vielmehr sich begnügt und auf unbestimmte
Zeit hin begnügen muls, durch Pflege von Handelsbeziehungen, durch
Missionen und Expeditionen, durch Malsregeln in den vorgelagerten
Landstrichen, die auf das Innere Rückwirkungen ausüben, einen ge-
wissen Einflufs auszuüben. Einflufs ist aber weder Regierung noch
Herrschaft. Hier überall hat die Kolonialgewalt nur die negative
Wirkung eines vorbehaltenen Rechtes, eines Ausschliefsungsrechtes.
Sie spricht sich die Befugnis zu wie im Verhältnis zu anderen Staaten,
so im Verhältnis zu Unternehmern, Gesellschaften, Missionen alle An-
ordnungen und Malsregeln zu treffen, um zu verhindern, dals der
künftigen Begründung ihrer effektiven Herrschaft über die Eingeborenen
und damit den kolonialen Interessen des Reiches Eintrag gethan oder
vorgegriffen werde.
Aber auch in den Gebietsteilen, wohin ihre Herrschaft reicht,
gewährt die Kolonialgewalt der einheimischen Bevölkerung nicht
einmal die erste und unerläfslichste Bedingung, unter welcher von
einer staatlichen Gemeinschaft gesprochen werden kann:. die Bürg-
schaft der Rechtsordnung. Vielmehr ist auch hier die Kolonialgewalt
nichts anderes, als die Aneignung des Rechtes, diejenigen Anordnungen
und Malsregeln zu treffen, welche nach Lage der Verhältnisse er-
forderlich und angemessen sind, um die eingeborene Bevölkerung den
5 Begründung des Gesetzentwurfes, betr. Bekämpfung des Sklavenhandels
und Schutz der deutschen Interessen in Ostafrika. Drucks. d. Reichstages
1888/89 No. 71.