$ 9. Die Organisationsformen der menschlichen Gesellschaft. 77
Das gilt aber auch von den Wechselwirkungen, welche sich bethätigen
bald in der Flucht der täglichen Begegnung, bald in den näheren Be-
ziehungen der Geselliekeit, bald in den dauernden Verbindungen der
Freundschaft und Liebe, bald in den unorganisierten, durch die Gleich-
artigkeiten und die Unterschiede der Lebensverhältnisse, des Berufes,
der Vermögenslage, der Überzeugungen über Gott und Welt sich bil-
denden Schichtungen der Gesellschaft. Das gilt vor allem von der
Teilung und Vereinigung der geistigen Arbeit und von dem Austausch
ihrer Erzeugnisse, auf welchen weitaus zum grölsten Teile die Sprache
und die Litteratur, die Kunst, die sittlichen und religiösen Überzeugungen,
die Maximen der Wirtschaft und der Technik eines Volkes beruhen. In
dem allen entfaltet das Recht nur seine negative Funktion. Es
erenzt — als absolutes Personen- und Vermögensrecht — die Willens-
sphären der gesellschaftlich Verbundenen gegeneinander ab. Es sichert
damit die Freiheit der individuellen Lebensführung und gewährt die
unerläfsliche Bedingung für den ungestörten Ablauf jenes Prozesses
ungebundener gesellschäftlicher Aneignungen, Zueignungen und Wechsel-
wirkungen.
Zu einem anderen Teile aber handelt es sich auch in dem Pro-
zesse der freien Anpassung um die Eingehung und Abwickelung recht-
licher Bindungsverhältnisse, in denen der Wille des einen in den
Dienst des anderen gestellt oder die Thätigkeiten beider auf die Er-
reichung eines gemeinschaftlichen Zweckes zusammengestimmt werden.
Sie gehören der freien Anpassung insofern und insoweit an, als ihre
Eingehung auf den rechtlich freien Entschlielsungen der Beteiligten
beruht und als das eingegangene Rechtsverhältnis in der Anerkennung
gegenseitiger Gleichberechtigung wurzeln bleibt. Hier sind die erzeug-
ten Bindungen nur die Konsequenzen der eigenen Willenssetzung,
welche das Recht in Erfüllung einer anderen unerläfslichen Bedingung
jedes kulturmäfsigen und darum berechenbaren gesellschaftlichen Zu-
sammenlebens definierend anerkennt, festhält und verbürgt.
Das Recht prägt diese Bindungsverhältnisse aus in den obli-
gatorischen Rechtsverhältnissen des Privatrechtes, mögen dieselben ver-
pflichtende Liberalitäten oder mögen sie den Ausgleich verschieden-
artiger Bedürfnisse im Austausch von Sache um Sache oder von Leistung
um Leistung oder von Leistung um Sache zum Gegenstande haben
oder mögen sie in der Form der Societäten das Zusammenwirken für
einen gemeinsamen Zweck regeln.
In den Bindungsverhältnissen der freien Anpassung bewegt sich
in breitester Massenhaftigkeit das tägliche bürgerliche Leben. Auf
ihnen beruht vor allen Dingen zum weitaus überwiegenden Malse die