Die einzelnen Bestimmungen der deutschen Reichsverfassung. .183
IIl. Das zweite Alinea des Artikel 78 der deutschen Reichaverfassung.
$ 12.
Jura singulorum.
Die Reformation hat zuerst im römischen Reiche
deutscher Nation.die Frage aufwerfen lassen, inwieweit
in den Reichsversammlungen und in den einzelnen reichsstän-
dischen Kollegien eine Grenze für die verbindliche Kraft der
Majoritätsbeschlüsse bestehe. Die evangelischen Stände be-
gnügten sich anfangs mit der Behauptung, dass in Sachen der
Religion allein die freie Vereinbarung der Religionsparteien
massgebend sein könne. Die Protestation gegen den Speierer
Reichsschluss von 1529 gab dem feierlichen Ausdruck, der
Passauer Vertrag von 1552 ($5 i.f.) urkundliche Anerkennung.
Allein das dauernde Uebergewicht der Katholiken in allen
reichsständischen Angelegenheiten drängte die Protestanten
weiter. Unter Rudolf Il. bestritten sie die Rechtskraft der
Majoritätsbeschlüsse in allen Kontributionssachen. Auf dem
Regensburger Reichstag von 1613 überreichten sie dem Kaiser
einen Katalog von 12 Punkten, in denen sie die Verbindlich-
keit der Majoritätsbeschlüsse leugneten. So bildete nothwen-
dig diese Frage einen wesentlichen Streitpunkt in den West-
fälischen Friedensverhandlungen. -
Katholischer Seits versuchte man die Anerkennung der
Unverbindlichkeit von Majoritätsbeschlüssen auf Religions-
sachen zu’ beschränken, man verlangte zum Mindesten eine
genaue Spezialisirung aller darüber hinausliegenden Punkte.
Die evangelischen Reichsstände dagegen beharrten auf einer
weiter gehenden und allgemein gefassten Klausel. Man ver-
einigte sich endlich über Artikel V Kapitel 19 des Osnabrücker
Friedensinstrumentes:
„In causis religionis omnibusque aliis negotiis, ubi status
tanquam unum corpus considerari nequeunt, ut etiam Catho-
licis et Augustanae confessionis statibus in duas partes eunti-
bus, sola amicabilis compositio lites dirimat, non attenta vo-