282 Das deulsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 16.)
liberale, 5 Mitglieder des Centrums, 2 Mitglieder der Fortschritts-
partei und 1 Pole. Die Annahme des Gesetzes — vorbehaltlich
gewisser Aenderungen — dürfte damit schon ausgesprochen sein.
Die Mitglieder der Commission sind in ihrer Mehrheit Freunde der
Verstaatlichung und sie wählt denn auch sofort den Verstaatlichungs-
freund Abg. Miquel zu ihrem Generalberichterstatter.
16.— 17. November. (Deutsches Reich.) Besuch des Groß-
fürsten Throufolgers in Berlin, nachdem diesem Besuche bereits ein
solcher in Wien vorausgegangen ist. Die öffentliche Meinung sieht
darin ein unzweifelhaftes Symptom des Einlenkens von Seite Nuß-
lands, zumal der Großfürst und feine (dänische) Gemahlin bisher,
mit Recht oder mit Unrecht, als entschiedene Gegner Deutschlands
gegolten haben. Der Kronpring bleibt troh des Besuches in Italien,
der Reichskanzler in Varzin.
Urtheile: Eine Berliner Correspondenz der hochofficiösen Wiener
„Montagsrevue" bezeichnet den Besuch des Großfürsten als einen Familien-
besuch, dem nur die Anwesenheit Bismarck's ein berechtigtes Aufsehen ver-
liehen haben würde. Bismarck hätte aber vielleicht selbst bei einem Besuche
des Czaren keine Veranlassung gehabt, nach Berlin zu kommen, um demselben
als Decorationsstück zu dienen. Der Besuch bilde ein einfaches Hofereigniß.
Rußland werde sich daran gewöhnen müssen, daß Deutschland die Dauer-
haftigkeit jeiner Freundschaft von der Daner und Zuverlässigkeit der ihm
selbst erwiesenen abhängig mache. Der diplomatische Berliner Correspondent
der „Kölner Ztg.“ berichtet seinerseits: „Der Empfang des russischen Thron-
folgers am hiesigen Hofe war, wie sich erwarten ließ, ein sehr freundlicher
und die der Regierung nahestehenden Blätter haben die Lerslichteit der Be-
gegnung zwischen dem Kaiser, den Mitgliedern der kaiserlichen Familie und
den russischen Gästen mehrfach hervorgehoben. Unter politischen Gesichts-
puncten war es Rußland natürlich vor Allem darum zu thun, nach außen
hin seine freundlichen Beziehungen zu Deutschland und Oesterreich als un-
getrübt erscheinen zu lassen und dem Eindrucke entgegenzuwirken, daß es
vereinzelt sei oder vielmehr sich durch seine Schuld vereinzelt habe. Es ver-
steht sich ja auch, daß, wenn Rußland Frieden zu halten verspricht, seine
Versicherungen von beiden Mächten bereitwillig entgegengenommen werden.
Andererseits liegt auf der Hand, daß die Lage, wie sie sich seit der deutsch-
österreichischen Vereinbarung geslaltet hat, durch einen 48stündigen Besuch
des russischen Thronfolgers nicht wesentlich verändert werden konnte. Ruß-
land wird greifbare Beweise zu geben haben, daß es zunächst den Verliner
Frieden wirklich respectiren will. Man hat Anzeichen, daß russische Agenten
jeht vor Allem Oesterreich von England fernzuhalten und Mißtrauen zwischen
London und Wien auszustreuen bemüht sind. Solche Bemühungen werden
nach russischer Art gelegentlich officiös verlengnet, aber darum nicht minder
unter der Hand fortgeseyt.“ Endlich schreibt der Berliner offiziöse Corre-
spondent der „Pol. Corr.“: „Der Umstand, daß der Großfürst-Thronfolger
über Wien nach Berlin kam, mag ein zufälliger sein, thalsächlich entspricht
er vollständig den politischen Verhältnissen. Oesterreich-Ungarn und Dentsch-
land sind einander innerlich so nahe getreten, daß eine intimere Annäherung
einer drilten Macht an eines der beiden Reiche nicht mehr möglich ist.
Rußland, welches das Freundschaftsverhältniß zu Deutschland aufrichtig