Die Entstehung des deutschen Reiches. 179
lichen Akte ist sie nicht als die Summe übereinstimmender
Partikulargesetze, sondern als Gesetz der Gesammtheit in
rechtliche Wirksamkeit getreten ®.
II. Das deutsche Reich.
Einen andern Charakter, als die Entstehung des nord-
deutschen Bundes, trägt die Entstehung des deutschen
Reiches an sich. . |
Die vier stiiddeutschen Staaten — Hessen, soviel sein Ge-
biet südlich des Main’s betrifft — befanden sich nach dem
Jahre 1866 im Besitze ungebundener Suveränetät. Die Be-
stimmung im Art. V des Prager Friedens vom 23. August 1866
über die nationale Verbindung Süddeutschlands und Nord-
deutschlands hatte das nicht erfolgte Zusammentreten der
siiddeutschen Staaten in einen „Verein“ zur Voraussetzung.
Die Schutz- und Trutzbündnisse zwischen Preussen und den
süddeutschen Staaten, der auf Zeit geschlossene Zollver-
einigungsvertrag vom 8. Juli 1867, wie hoch man ihre poli-
tische Bedeutung anzuschlagen hat, befassten keinerlei recht-
liche Verpflichtung zur Fortbildung nach einer bundesstaat-
lichen Einigung Deutschland’s hin. Der Abschluss der
deutschen Verfassungsverträge beruhte daher formell und
abgesehen von den zwingenden Motiven einer nationalen Po-
litik, auf der vollkommen freien Entschliessung der süd-
deutschen Staaten.
Der norddeutsche Bund allein hatte die umfassendere
Einigung Deutschland’s vorgesehen. Der Artikel 79 seiner
Verfassung bestimmte: „Der Eintritt der süddeutschen Staaten
oder eines derselben in den Bund erfolgt auf Vorschlag des
Bundespräsidium im Wege der Bundesgesetzgebung.“ Selbst-
verständlich war mit dieser Bestimmung nicht eine einseitige
% Es kann nicht von „Kontrahenten bei der norddeutschen Verfas-
sung‘‘ die Rede sein, als welche Westerkamp, Ueber die Reichsverfas-
sung pag. 21 anführt: Die Fürsten und freien Städte, die Bevölkerungen der
einzelnen Staaten, das norddeutsche Volk in seiner Gesammtheit.