Full text: Studien zum Deutschen Staatsrechte. Zweiter Band. (2)

34 Die Substitutionsbefugniss des Reichskanzlers. 
sollte eine volle konstitutionelle Verantwortlichkeit für die 
Wahrnehmung der kaiserlichen Vollziehung gegenüber Bundes- 
rath und Reichstag herbeiführen. Nach allgemeinen, durch 
die Verfassung für diesen Fall nicht abgeänderten Grundsätzen 
ist aber der Substituent nur für die richtige Auswahl des 
Substituten und für die Geltendmachung etwaiger Ansprüche 
gegen denselben verantwortlich, nicht aber für die Geschäfts- 
führung selbst und wiederum der Substitut steht nur in einem 
Verantwortlichkeitsverhältniss zu seinem Substituenten, nicht 
zu Dritten, denen dieser letztere verantwortlich ist. Mit einer 
solchen Substitutionsbefugniss war mithin ein wesentlicher 
Abbruch der direkten Verantwortlichkeit des Reichskanzlers 
verbunden. 
Diese Bedenken waren es, die, nachdem die Vertretung 
des Reichskanzlers durch den Staatsminister Delbrück im 
Jahre 1872: unbeanstandet geblieben war, zur Kontestation 
gelangten, als durch Schreiben vom 11. April 1877 die Ver- 
tretung des Reichskanzlers durch den Präsidenten des Reichs- 
kanzleramıtes Hofmann und durch den Staatssekretär von Bülow 
dem Reichstage angezeigt wurde.? Sie bewirkten die Erklärung 
der Reichsregierung, dass von dieser Stellvertretung die Gegen- 
zeichnung kaiserlicher Akte und das Verantwortlichkeitsver- 
hältniss des Reichskanzlers insbesondere zum Reichstag nicht 
berührt werde. 
Die Unzulänglichkeit des Auskunftsmittels, welches in der 
letzten Erklärung lag, der entschiedene Widerspruch, auf den 
die Ausdehnung der Substitutionsbefugniss des a. 15 auf die 
Funktionen des Reichskanzlers als solchen stiess, haben alsdann 
zu dem Gesetz vom 17. März 1878 über die Stellvertretung 
des Reichskanzlers geführt. Sein Ziel ist es, die Stellvertretung 
des Reichskanzlers in seiner Eigenschaft als obersten verant- 
wortlichen Reichsministers grundsätzlich, nach Zulässigkeit, 
Art und Wirkung, zu regeln. Es ist eine vollkommene Ver- 
! Schreiben vom 22. Mai 1872 an den Reichstag. Sten. Ber. pag. 
453. * Sten. Ber. 1877, pag. 417 ff.
	        
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