488 EINE EHEKOMÖDIE
war die zweite Tochter des Herzogs Alfred von Koburg und der Groß-
fürstin Maria von Rußland, der einzigen Tochter des Kaisers Alexander II.
Sie war sehr schön. Man konnte kaum etwas Anmutigeres sehen, als wenn
die brünette Großherzogin Viktoria neben ihrer blonden Schwester, der
damaligen Prinzessin, späteren Königin Maria von Rumänien, stand. Die
letztere hat bekanntlich erheblich dazu beigetragen, daß König Ferdinand
von Rumänien, ein Hohenzoller, der die Ehre gehabt hatte, beim 1. Garde-
regiment zu stehen, im Weltkrieg zu unseren Feinden überlief. Prinzessin
Viktoria sollte sich damit begnügen, Darmstadt den Rücken zu kehren und,
nachdem ihre erste Ehe geschieden war, sich mit dem Großfürsten Kyrill
Wladimirowitsch von Rußland zu vermählen. Weniger schön war die melo-
dramatische Art und Weise, wie sie den endgültigen Bruch mit Darmstadt,
das sieben Jahre in ihr seine Herrin verehrt hatte, nach erfolgter Scheidung
in Szene setzte. Die einzige Tochter des großherzoglichen Paares war nach
kurzer Krankheit in Petersburg gestorben. Zur Beisetzung in Darmstadt
erschien die Mutter, wo sie mit Achtung und Sympathie empfangen wurde.
Das verhinderte sie nicht, nach Beendigung der Trauerfeierlichkeit, bevor
sie das Trauerzimmer verließ, ihren hessischen Orden samt Ordensband auf
den Sarg des armen Prinzeßchens niederzulegen, um damit anzudeuten, daß
zwischen ihr und ihrer bisherigen Heimat das letzte Band zerschnitten sei.
Wenn bei dem Detmolder Erbfolgestreit die mesquine und dabei
schwerfällige Rechthaberei deutschen Kleinfürstentums zutage trat, so
war Darmstadt seinerzeit der Schauplatz einer ehelichen Komödie gewesen,
bei der die ganze Hilflosigkeit eines deutschen Fürsten in verwickelter
Situation enthüllt wurde. Der gute Großherzog Ludwig IV., der sich nach
dem Tode der ihm intellektuell sehr überlegenen Großherzogin Alice einsam
und anlehnungsbedürftig fühlte, hatte die Bekanntschaft der Gattin des
Sekretärs der russischen Gesandtschaft in Darmstadt, Madame Kolemine,
gemacht. Sie war von Geburt eine Polin, eine Gräfin Czapska, hübsch,
interessant und unternehmend. In vollem Einvernehmen mit seiner ältesten
Tochter, der Prinzessin Viktoria von Hessen, beschloß der Großherzog,
Madame Kolemine zu ehelichen, nachdem sie in Rußland von ihrem ersten
Gatten geschieden worden war. Inzwischen hatte sich Prinzeß Viktoria mit
dem in englischem Dienst stehenden Prinzen Louis Battenberg verlobt.
Ihre Hochzeit sollte am 30. April 1884 mit großem Pomp im Beisein des
damaligen deutschen Kronprinzenpaares, vieler deutscher Fürstlichkeiten
und vor allem der Königin Victoria von England gefeiert werden. Der
Großherzog und seine Tochter beschlossen, daß der Vater sich an demselben
Tage im stillen in einer kleinen Kapelle mit Madame Kolemine trauen
lassen würde. Der leitende hessische Minister Freiherr von Stark hatte sich
bereit erklärt, seinem hohen Gebieter als Trauzeuge zur Seite zu stehen.