126 Anwaltsprozeß.
gebung über A. wird das Erforderniß des Strafantrages sowie die Zulässigkeit
der Zurücknahme in Betreff der vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes begangenen
Handlungen nach den bisherigen Gesetzen beurtheilt (Gesetz vom 26. Februar 1876
Art. 3).
Gsgb.: D. StrafGB. §§ 61—65. Straf mO. 88 414 ff., 502. *4•
Lit.: Godefroi, Diss. de delictis, quae non nisi ad laesorum querelam vindicantur,
Amsterdam 1837. — Ziegler, De delictis non nisi ad laesorum querelam coörcendis. —
Fuchs, Anklage und A., Breslau 1873. — Reber, Die A. des Deutschen StrafR., München
1873. — Nessel, Die Antragsberechtigungen 2c., Berlin 1873. — v. Kirchenheim, Die
rechtliche Natur der A., Tübingen 1877. — Hergenhahn, Das Antragsrecht im Deutschen
StrafR., im Heft 105 der deutschen Zeit- und Streitfragen, Berlin 1878. — Köstlin, System
des StrafR., S. 513—530. — Die Lehrbücher von Berner (10. Aufl.), Hugo Meyer
(2. Aufl.), Schütze (2. Aufl.). — Ferner Dochow in v. Holtzendorff's Handbuch des Strafg.,
Bd. IV. Berlin 1877. — Binding, Die Normen, Bd. I. S. 89—94. — Die Kommentare
des D. StrafS B. von v. Schwarze, Oppenhoff, Rüdorff, Hahn, Rubo. —
Zachariê im Archiv des Kriminalrechts 1845 und 1847.— Aufsätze in Goltdammer's Archiv,
d. XIX. XX. XXI. von v. Bar, Fuchs, Hälschner, Heinze, v. Tessendorf; — desgl.
in v. Holtzendorff's StrafR.-Ztg. von Fuchs, John, Meves; — desgl. im Gerichtssaal von
Berner, Geßler, Geyer, Fuchs, v. Schwarze. Fuchs.
Auwaltsprozeß ist das Verfahren vor den Kollegialgerichten, also in Sachen,
welche vor die Landgerichte (einschließlich der Kammern für Handelssachen) gehören
und in Prozessen, welche in zweiter und dritter Instanz verhandelt werden. Die
Bezeichnung rührt daher, daß für dasselbe der sog. Anwaltszwang als
zwingende Vorschrift öffentlich rechtlicher Natur besteht. Jede Partei, selbst eine
rechtsverständige, muß sich in diesen Sachen durch einen beim Prozeßgericht zuge-
lassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen und nur der letztere
selbst ist davon ausgenommen (CPO. § 14). Eine nicht in der gedachten Weise
vertretene Partei gilt rechtlich als nicht erschienen, selbst wenn sie persönlich oder
ein sonstiger Bevollmächtigter für sie anwesend ist. Die gehörig vertretene Partei
ist aber andererseits nicht gehindert, neben ihrem Anwalt in den Terminen zu er-
scheinen, auf ihren Antrag zum Wort verstattet zu werden (§ 128) sowie Geständnisse
und thatsächliche Erklärungen ihres Anwaltes zu widerrufen (§ 81), ja sie ist sogar,
trotz ihrer Vertretung durch den Anwalt, zum perfönlichen Erscheinen verpflichtet,
wenn dies vom Gerichte zur Aufklärung des Sachverhalts oder zum Zweck eines
Sühneversuches angeordnet wird (5§ 132, 268). Den Gegensatz zum Anwalts-
prozeß bildet das Verfahren vor den Amtsgerichten, der sog. Parteiprozeß
(eine Bezeichnung, welche die CPO. freilich nicht gebraucht). Vor diesen sind die
Parteien niemals verpflichtet einen Anwalt zu bestellen, ein Grundsatz, welcher
daher auch auf das Mahnverfahren, das Vollstreckungsverfahren vor dem Voll-
streckungsgericht und das Konkursverfahren Anwendung findet.
Innerhalb des Anwaltsprozesses selbst fällt der Anwaltszwang fort, wenn vor
einem beauftragten oder ersuchten Richter, wie z. B. in Rechnungs= und ähnlichen
Sachen oder behufs einer Beweisaufnahme verfahren wird, ferner bei allen Prozeß-
handlungen, welche vor dem Gerichtsschreiber zu Protokoll desselben erfolgen können
und zu deren Wahrnehmung auch eine blos schriftliche Erklärung der Partei selbst
genügt (s. z. B. §§ 44, 98, 109, 225).
Die CO. behandelt den Anwaltsprozeß als das Prototyp des gerichtlichen
Verfahrens überhaupt. Sie stellt gelegentlich desselben die allgemeinen Regeln über
das Verfahren bis zum Urtheil, über diefes selbst, das Versäumnißurtheil, den Beweis und
das Beweisverfahren dar, und giebt nur in Betreff der drei übrigen Verfahrungsarten,
der Rechtsmittel und der anderen, zur Anfechtung von Urtheilen dienenden Rechts-
behelfe die besonderen Abweichungen für das hier in Frage kommende Verfahren an.
Ties gilt auch für das amtsgerichtliche Verfahren, welches aber deshalb nicht als
ein besonderes, im Gegensatz zum ordentlichen stehendes Verfahren, wie mehrfach ge-
schieht, betrachtet werden kann, weil es eben das regelmäßige, für sämmtliche zur
Zuständigkeit der Amtsgerichte gehörige Prozeßsachen ist.