Full text: Handwörterbuch der Württembergischen Verwaltung.

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Wohltätigkeitsanstalten und -vereine. — A. Die 
Fürsorge für Arme und Notleidende 
wurde in W. schon früh organisiert. Im 17. Jahrh. 
wurden entspr. der damals herrschenden Auf- 
fassung von dem Zusammenfallen der vürgerl. 
und kirchl. Gde einzelne Mitgl. des bürg. Gde Rats, 
darunter in 1. Linie der Ortsvorst., ausgewählt, 
die im Verein mit dem Ortsgeistl. als „Kirchen- 
konvent" u. a. die Aufsicht über das Armenwesen 
zu führen hatten. Die segensreiche Wirksamkeit 
dieser Beh. wurde unterstützt durch die private 
Wohltätigkeit, die der Beh. die Erfüllung ihrer 
Aufgabe vielfach dadurch erleichterte, daß fie 
in ihre Hand Stiftungen legte, deren Ertrag den 
Armen zugut kommen sollte. Daneben hat aber 
auch die freie Vereinstätigkeit in W. schon früh- 
zeitig Wurzel gefaßt, und zwar wandte sich dieselbe 
in ren Anfängen mit Vorliebe der Fürsorge für 
Kinder zu. Diesem Umstand ist die Entstehung 
einer Reihe von Kinderrettungsanstalten zu An- 
jeng des 19. Jahrh. zu danken. Zu derselben Zeit 
efaßten sich, abgesehen von den sog. „Gemein- 
schaften", die es sich zur Aufgabe machten, nicht 
nur ihren eigenen Mitgl., sondern auch anderen 
Armen Hilfe zu leisten, einzelne Vereine, so die 
im Jahr 1805 ins Leben getretene Gesellschaft der 
christlichen Armenfreunde in Stuttgart, ebenfalls 
mit der Unterstützung Notleidender überhaupt. Als 
jedoch in den Jahren 1816 und 1817 das Land von 
schwerer Not heimgesucht wurde, da zeigte es sich, 
daß eine ausreichende Hilfe für die große Zahl 
der Armen und Notleidenden nur geschaffen wer- 
den könne durch eine Zusammenfassung aller be- 
stehenden Wohltätigkeitsbestrebungen. Eine solche 
erreichte Königin Katharina durch die zu Anfang 
1817 erfolgte Gründung des über das ganze 
Königreich sich erstreckenden, in Bezirks- und Orts- 
vereine gegliederten Württembergischen 
Wohltätigkeitsvereins, an dessen Spitze 
die Zentralleitung des Wohltätig- 
keitsvereins in Stuttgart (seit 1911 
Zentralleitung für Wohltätigkeit in 
W.) gestellt wurde. Hür diese eigenartige Organi- 
sation ist namentlich charakteriftisch die Verbin- 
dung von amtlicher Autorität und freiwilliger 
Tätigkeit. Den Ortsleitungen gehörten kraft ihres 
Amtes an die geistlichen und weltlichen Vorsteher 
der Gden und die Mitgl. des Kirchenkonvents; in 
den OLeitungen hatten OAMann, Dekan, OA.- 
Arzt und OAPfleger von Amts wegen Sitz und 
Stimme. Im übrigen wurden die Orts- und OA.- 
Leitungen gebildet aus männlichen und weibl. 
Armenfreunden. Auf die Orts= und Oweit. 
wurden seitens der Regierung gewisse Amtsbefug- 
nisse der Orts= und BezBeh. übertragen. Der 
Vorstand und die Mitgl. der Zentralleitung des 
Wohlt Vereins (unter letzteren auch Frauen) wur- 
den vom König auf Lebensdauer zu diesem Ehren- 
amt berufen. Der Zentralleitung kam die Auf- 
gabe zu, auf dem weitverzweigten Gebiet der 
Liebestätigkeit anregend, beratend, unterstützend 
und bis zu einem gew. Grad auch beaufsichtigend 
zu wirken. Um ihr die Erfüllung ihrer Aufgaben 
zu erleichtern, wurde die Zentr L. dem bestehenden 
Behördenorganismus angegliedert und ihr ein ge- 
  
Wohltätigkeitsanstalten und vereine. 
wisser amtlicher Charakter verliehen. Dadurch 
wurde ein ständiges Zusammengehen der öff. 
Armenfürsorge und der privaten Wohlt. erreicht, 
ohne daß die Selbständigkeit und Bewegungs- 
freiheit der letzteren beeinträchtigt worden wäre. 
Erst in neuester Zeit wurde diese Organisation 
des Wohlt Wesens auf Grund der gemachten Er- 
fahrungen in einer den gerelu und An- 
schauungen der Neuzeit entspr. Weise umgestaltet. 
Der Zentr L. ist ein von dem Kollegium zu wähl. 
Beirat angegliedert worden; die noch besteh. 
Bezirkswohltätigkeitsvereine sind 
auf neuzeitliche Grundlage gestellt, wo dieselben 
nicht mehr bestanden, sind sie neu ins Leben 
gerufen worden, so daß nunmehr in sämtll. 
O AhBezirken solche vorhanden sind. 
Die Wirksamkeit der Bezirkswohl V., welchen 
weitgehendste Selbständigkeit zukommt, hat 
neben der Unterstützung einzelner Notleiden- 
der in der Anregung und Förderung von 
Veranstaltungen allg. Art auf dem Gebiet der 
helfenden Nächstenliebe zu bestehen. Sie haben sich 
deshalb namentlich zu betätigen durch Förderung 
der Krankenpflegeeinrichtungen, durch Anregung 
zur Gründung von Kleinkinderpflegen, durch Für- 
sorge für verwahrloste und hilfsbedürftige Kinder, 
durch Unterstützung der Bestrebungen zur Fürsorge 
für die schulentlassene Jugend und durch Förde- 
rung von Orts- und Wanderbibliotheken. In den 
Bereich der Tätigkeit der Zentr L. gehört bes. auch 
die Organisation der Hilfeleistung bei größeren, 
durch element. Ereignisse wie Ueberschwemmung, 
Sturm usw. herbeigeführten Notständen, Min B. 
13. 11. 63, Rgbl. 225, Min JErl. 30. 8. 96, Abl. 118. 
Wo die Zentr L. und die BezWohlt V. ihre Beihilfe 
einzelnen Hilfsbedürftigen angedeihen lassen, ge- 
schieht dies teils in Ergänzung der bürgerlichen 
und kirchlichen Armenfürsorge, teils auch in der 
Absicht, ein Eintreten der öff. Armenpflege vor- 
beugend fernzuhalten. Während aber seitens der 
letzteren Unterstützung dann gewährt werden muß, 
wenn Hilfsbedürftigkeit i. S. des Ges. vorliegt, 
ohne daß die Würdigkeit des Empfängers in Frage 
kommt, hat dem Eintreten der privaten Fürsorge 
eine Prüfung der Würdigkeit voranzugehen, Der 
Geschäftskreis der Zentr L. und der BezWohlt V. 
hat sich neuerdings dadurch bedeutend erweitert, 
daß in eine einheitliche, planmäßige Bekämpfung 
der Tuberkulose und des Lupus im ganzen Lande 
eingetreten worden ist. Um mit den BezWohlt. 
in steter Fühlung zu bleiben, veranstaltet die 
Zentr L. regelmäßige jährl. Zusammenkünfte mit 
deren Vertretern, in welchen über allg. Fragen 
und über die Mittel und Wege zur Erfüllung der 
vielseitigen Aufgaben beraten wird. Die Grund- 
bestimmungen der Zentral L. f. Wohlt. i. W. s. Rabl. 
11. 214. — B. Die # einzelnen Wohltätigkeits- 
anstalten und vereine ## tragen i. d. R. konfess. 
Charakter, und jede Konf. ist bestrebt, die noch be- 
stehenden Lücken nach Möglichkeit auszufüllen. 
Eigentümlich ist bei der Mehrzahl dieser Veran- 
staltungen, daß die Initiative zu ihrer Gründung 
von der Privatwohltätigkeit ergriffen wurde, 
während der Staat sich im wesentl. darauf be- 
schränkte, die Unternehmungen durch Gewährung
	        
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