Full text: Um den Kaiser.

deutschen Volkes von innen gehemmt und seine friedliche Stellung 
nach außen gefährdet. Ein gerechtes Urteil wird sich aber nur 
finden lassen, wenn man von der ihn beherrschenden Wahnvorstellung, 
ein vorausbestimmter Heilbringer zu sein, und von den Grenzen 
seiner subjektiven Verantwortlichkeit ausgeht, die seiner Geistes- 
schärfe von Natur oder durch pathologische Zustände gesetzt waren. 
Wo war Augenmaß, wo Selbsikritik, wo Menschenkenntnis? Der 
Kaiser auf dem Thron glich allzuoft einem Nachtwandler, der alles 
im Mondlicht verklärt oder zu Schreckbildern verunstaltet sah, von 
Erfolgen träumte, die keine waren, oder Gefahren erblickte, die 
bei Tage niemand zu schrecken brauchten. 
Eines aber darf auch die erbittertste politische Feindschaft 
eines Deutschen nicht in Zweifel ziehen: die vollkommene Lauterkeit 
seines friedlichen und gütigen Bestrebens als Herrscher und Mensch. 
Wilder Haß der Feinde hat aus Wilhelm II. einen blutrünstigen, 
eroberungssüchtigen Tyrannen gemacht und verlangt, daß er aus- 
geliefert und von einem internationalen Gerichtshofe als bösartiger 
Kriegshetzer und Greueltäter verurteilt werde. Unter allen Potentaten, 
gekrönten und gewählten, wird es keinen geben, der aufrichtiger als 
er den Weltfrieden zu hüten bestrebt war. Schon sein starkes reli- 
giöses Empfinden ließ ihn die Rolle eines Weltfriedenshortes viel 
begehrenswerter und auch glanzvoller erscheinen als die eines 
Kriegsgottes. Er war, wenn man einen scharfen Auadruck ge- 
brauchen will, viel mehr Theaterheld als Kriegsheld. Der Oberhof- 
prediger v. Dryander, der schon in der Bonner Studienzeit sein 
Seelsorger war, bezeugte am letzten Kaisersgeburtstag in einem Ar- 
tikel der Kreuzzeitung, daß nach seiner doch wohl auf genauer 
Kenntnis der Psyche des Kaisers beruhenden Uberzeugung dieser 
der friedliebendste Monarch seiner Zeit war 1). 
  
1) „Die Erhaltung des Friedens war trotz gelegentlichen temperamentvollen 
Außerungen, die anders gedeutet werden konnten, das bestimmte Ziel der Politik 
Wilhelms II.; der Kaiser wollte der Friedenskaiser sein.“ G. v. Jagow, Staats- 
sekretär a. D., Ursachen und Ausbruch des Weltkrieges, Berlin 1919, S. 17. — 
„Die Angst vor jedem gewaltigen Ereignis, namentlich vorm Kriege, war in Wil- 
helm II. so ausgeprägt, daß selbst das Bedenken, nach so vielen versäumten besseren 
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