I. Die Neichsverfassung.
1. Einleitung.
Der deutsche Bund, der nach dem Zusammenbruche des älteren deutschen
Reichs die deutschen Staaten zusammenschließen sollte, beließ diesen die volle
Souveränität) und schloß damit jede gesunde Weiterentwickelung der deutschen
Verhältnisse aus. Nach Außen konnte der Bund zu keinem Ansehen gelangen, weil
ihm eine einheitliche zielbewußte Vertretung und eine schlagfertige, gleichmäßig
eingerichtete und geleitete Land= und Seemacht fehlte, und im Innern konnte er
den wachsenden Verkehrsbedürfnissen nur in unzureichender Weise genügen, weil
die Einführung und Weiterentwickelung der gemeinsamen Einrichtungen ganz in
der Hand der Einzelstaaten lag und nur vorübergehend durch besondere Staats-
verträge sicher gestellt werden konnte).
Diesem unerfreulichen Zustande wurde erst durch die Kriegsereignisse der
Jahre 1866 und 1870/1 ein Ende gemacht. Das besiegte Oesterreich erkannte die
Auflösung des deutschen Bundes an und trat von der weiteren Gestaltung Deutsch-
lands zurücks). Preußen, das sein Gebiet durch Einverleibung der Herzogthümer
Schleswig und Holstein, des Königreichs Hannover, des Kurfürstenthums Hessen,
des Herzogthums Nassau, der freien Stadt Frankfurt und einiger von Bayern und
dem Großherzogthum Hessen abgetretenen Gebiete erheblich vergrößert und besser
abgerundet hatte, schloß mit den nördlich des Mains belegenen deutschen Staaten
den norddeutschen Bund. Die Bundesverfassung, die zwischen den betheiligten
Regierungen und dem auf Grund allgemeiner Wahlen berufenen Reichstage ver-
einbart und in den Einzelftaaten von den gesetzgebenden Stellen genehmigt wurde“),
ersetzte den völkerrechtlichen durch einen staatsrechtlichen Verband, den Staatenbund
durch einen Bundesstaat und gab damit dem größten Theile Deutschlands die bis
dahin so schmerzlich vermißte einheitliche kräftige Leitung.
Schon diese Verfassung hatte vorgesehen, daß die süddeutschen Staaten
(Bayern, Württemberg, Baden und Südhessen), die sich mit dem norddeutschen
Bunde bereits durch Schutz= und Trutzbündnisse vereinigt hatten und durch einen
1) Pariser Frieden 30. Mai 14 Art. 6;
Bundesakte 8. Juni 15 (GS. 18 S. 143)
u. Wiener Schlußakte 15. Mai 20 (GS.
118).
2) Handelsgesetzbuch u. Wechsel-
O., beide später zu Bundes= u. zu Reichs-
gesetzen erklärt G. 5- Juni 69 (BGl. 382),
ersteres dann durch das HGB. 10. Mai
97 (RG. 219) ersetzt; Schutz der
litterarischen u. Kunsterzeugnisse
J.
Bundes-Beschl.9. u. preuß. Pat. 29. Nov.
37 (GS. 161), gleichfalls später zum
Reichsgesetz geworden Anm. 34. — Die
wichtigste Einrichtung war der Zoll-
verein, in dem die deutschen Staaten
sich nach und nach mit Preußen zu
einem einheitlichen Zollgebiete zusammen-
schlossen (1828—1851).
3) Prager Frieden 23. Aug. 66.
4) Publ. 26. Juli 67 (BG#l. 1).
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