100 Wilnelm Kahl, Staat und Kirche.
Religionsgesellschaften sind dieselben, wie in allen Zweigen der Staatsverwaltung. Unter dem be-
sonderen Gesichtspunkt der Kirchenhoheit hat sich als Mittel präventiver Staatsaufsicht aus Jahr-
hunderte alter Übung in mehreren deutschen Staaten das sog. Plac et erhalten, d. h. der Vorbehalt
staatlicher Genehmigung zur Verkündigung oder zum Vollzug kirchlicher Gesetze und Erlasse; so
in Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen. In Preussen wurden die landrechtlichen Be-
stimmungen darüber durch die Verfassung von 1850 beseitigt. Grundsätzlich ist diese veraltete
Massregel der Staatsaufsicht nicht zu billigen, weil sie von Eingriffen in die sacra interna sich nicht
frei zu halten vermag und dem internationalen Charakter der katholischen Kirche gegenüber völlig
wirkungslos ist. Gerechtfertigt und notwendig ist eine verwandte, in den Gang der evangelischen
Kirchengesetzgebung eingeschobene Massregel. Von den Synoden beschlossene Kirchengesetze
müssen vor der landesherrlichen Sanktion einer obersten Staatsbehörde zur Prüfung vorgelegt
werden. Dies hat den Zweck, eine Pflichtenkollision des Landesherrn in seiner Doppeleigenschaft
als Inhaber des Kirchenregiments und der Staatsgewalt zu verhindern. Ein praktisch wichtiges
Repressivmittel der Staatsaufsicht ist endlich noch die Temporaliensperre,d.h. die Ein-
behaltung der aus staatlicher Quelle fliessenden Amtseinkünfte von Bischöfen oder Pfarrern, sei es
bei Verweigerung des Staatsgehorsams im allgemeinen, sei es zur Erzwingung einer einzelnen gesetz-
lichen Massregel. Für die Zulässigkeit des Mittels ist die rechtliche Natur der zu sperrenden Amtsein-
künfte entscheidend. Solche privatrechtlicher Natur können, wie in Bayern, nur auf Grund gesetz-
licher Ermächtigung, solche öffentlich rechtlicher Natur im Verwaltungswege gesperrt werden.
Letzteres ist, wie durch Richtersprüche anerkannt, die Rechtslage in Preussen für diejenigen
Staatsleistungen an die katholische Kirche, welche auf der Circumskriptionsbulle De salute ani-
marum von 1821 beruhen.
5.DerGrundsatzderAdvukatie.d.h. des Schutzes und der Förderung des Kirchen-
wesens durch den Staat. In Gesetzgebung und Verwaltung will das System der Kirchenhoheit die
Würdigung der in den Kirchen gelegenen ethisch-religiösen Kräfte, ihre Bedeutung für Staatsleben
und Volkswohl zum Ausdruck bringen. Trotz der rechtlichen Unterordnung in sacris externis setzt
durch Betätigung der Advokatie der Staat die grossen historischen Kirchen zu sich in ein Verhältnis
ethischer Gleichordnung. Eben und nur an dieser Stelle findet im Rahmen des Systems der Kirchen-
hoheit der Wahrheitsgehalt der christlichen Staatsidee seine befriedigende Verwirklichung. Die
positiv-rechtlichen Ausserungen der Advokatie verteilen sich auf verschiedene Gebiete der Be-
ziehungen von Staat und Kirche. Sie betreffen das Verhältnis der Kirchenverfassung zur staatlichen
Rechtsordnung, die Gewährung äusserlicher Staatshülfe an die Kirchengesellschaften, die Berück-
sichtigung des Kirchenwesens im öffentlichen Leben und den besonderen strafrechtlichen Schutz der
Kirchen. Die Verfassung der Kirchen als öffentlicher Korporationen bildet einen Bestandteil
des öffentlichen Rechtsim Staat. Daher sind die Kirchenämter öffentliche Ämter,
die Organe der kirchlichen Selbstverwaltung Behörden, die Kirchendiener Träger gewisser staatlich
anerkannter geistlicher Standesrechte, welche, soweit sie auf der Reichsgesetzgebung beruhen, sich
v. a. auf Erleichterungen hinsichtlich der Militärpflicht und auf gewisse Begünstigungen im Gebiet
der Rechtspflege (Befreiungen, Beichtgeheimnis) beziehen. Die Gewährung äusserlicher
Staatshülfe tritt zunächst in Form der Dotation der Kirchen aus Staatsmitteln auf.
Diese Leistungen sind entweder fortdauernde, d. h. in den Staatshaushaltsetats regelmässig wieder-
kehrende, so die Positionen für evangelische Kirchenregimentsbehörden, für Bischöfe und Dom-
kapitel, für Pfarrgeistliche, Besoldungen und Pensionen, oder sie sind einmalige ausserordentliche
Staatszuschüsse, wie solche gelegentlich für Kirchenbauten und andere kirchliche Zwecke bewilligt
werden. Das konkrete Mass der Zuwendungen kann immer nur aus den unter Mitwirkung der Volks-
vertretungen in Gesetzesform festgestellten Kultusbudgets der einzelnen Staaten entnommen
werden. Die Staatshülfe tritt aber weiter auch noch in der Form des brachium saeculare auf, d. h.
in der Gewährung desstaatlichen Verwaltungszwangs für kirchliche Zwecke. Die
Bulle Unam sanctan forderte die Führung des weltlichen Schwertes ad nutum sacerdotis als Pflicht
des Staats. Im System der Kirchenhoheit ist das brachium saeculare ein auf dem Grundefder
ethischen Wertschätzung der Kirche freiwillig dargebotener Schutz des Staates. Der Staat begrenzt