W. Wygodzinski, Staat und Wirtschaft. 109
sache für die Lebensfähigkeit aller Gewerbe, die schwere Güter verfrachten müssen; ihre einseitige
Handhabung zugunsten einzelner Interessenten, wie sie in der Hand von Privatgesellschaften
nicht ausgeschlossen ist, zeigt sich als tiefgreifender Schaden für die G
des Landes. Diese Schäden waren bekanntlich in den Vereinigten Staaten von Amerika (im Zu-
samenhang mit dem Trustwesen) so gross, dass der Bund den Privatbahnen die Tarifhoheit genom-
men und sie in die Hände einer staatlichen Behörde, der Interstate commerce commission, gelegt
hat. Der Staat wirtschaftet als Eisenbahnunternchmer, wenn auch die Eisenbahnen eine Ein-
nahmequelle ersten Ranges für ihn geworden sind, doch im wesentlichen nur, um Missbräuche privat-
wirtschaftlicher Ausnutzung zu verhindern. — Das umgekehrte Extrem stellt die staatliche Land wirt-
schaft dar. Wenn die Domänen im Mittelalter und eigentlich bis zum Beginn des modernen Staates die
quell - waren, SO erklärte sich das rein negativ aus dem Mangel an Barein-
nahmen, die sich bei überwi g irtschaft nicht'beschaffen lassen. Hält man dieDomänen
jetzt noch fest, so spielt dabei — abgesehen von Versuchswirtschaften, Gestüten, Lehrgütern —
mehr die Tradition als ein wirkliches Bedürfnis die entscheidende Rolle. Die durchaus individuelle
Leitung, wie sie ein moderner landwirtschaftlicher Grossbetrieb verlangt, verträgt sich nicht mit
dem notwendigen Bureaukratismus staatlicher Wirtschaftsführung; und so sind die Domänen
denn auch fast durchwegs verpachtet, werden also zu Erwerbszwecken genutzt. Zwischen reinem
Erwerbs- und allgemeinem Staatsinteresse endlich liegen die Erwägungen, welche den Staat zur
Betreibung von Bergwerken (Kohle, Kali) bewegen. Die Wirtschaftsführung ist einfach genug,
um ihm keine Schwierigkeiten zu machen; die Gefahr einer Monopolbildung zuungunsten der
Konsumenten dieser wichtigsten Rohstoffe (wie auch der Verschleuderung von Naturschätzen)
liegt so nahe, dass Allgemeininteressen es rechtfertigen, wenn der Staat die Hand im Spiele be-
halten will.
Soweit der Staat sich nicht durch Eigeneinnahmen selbst ernährt, fordert er kraft seiner
Staatshoheit die Mittel zur Förderung seiner Zweoke von seinen Bürgern. Die Höhe wie Art und
Verteilung dieser Steuern wirken in gleich starker Weise wieder auf die Privatwirtschaft der
einzelnen zurück, was ebensowohl beabsichtigt wie unerwünschte Nebenwirkung sein kann. Es
sei nur daran erinnert, wie tief die Zollpolitik die Wirtschaftsverfassung beeinflusst. Aber auch
die anderen Steuergesetze haben solche Wirkungen (B g, Einfluss
der Wertzuwachs- und Umsatzsteuern auf den Grundstücksverkehr usw.). Bei der Ausgestaltung
der direkten Steuern wird ganz bewusst eine sozialpolitische Wirkung erstrebt (Freihaltung der
geringsten Einkommen, stärkere Heranziehung fundierter Einkommen, geringere Belastung der
kinderreichen Familien, progressiver Steuersatz). Entscheidend bei allen steuerpolitischen Fragen
bleibt freilich der Gesichtspunkt der Staatsnotwendigkeit.
Je mehr der Staat sich für seine eigene finanzielle Leistungsfähigkeit auf die in Steuerform
geleisteten Beiträge seiner Bürger angewiesen sieht, umso grösser wird sein Interesse an deren
wirtschaftlichem Gedeihen. Dieser Standpunkt — Förderun g des Bürgererwerbs
im Interesse der Staatsfinanzen — ist der des älteren merkantilistischen Staates
wie der im wesentlichen jetzt noch herrschenden neomerkantilistischen Richtung. Die dadurch
bedingte direkte Einwirkung des Staates auf die Volkswirtschaft
vollzieht sich in drei Formen: regelnd, fördernd und hemmend.
Es sind eine Reihe allgemeiner Staatsaufgaben, die gewissermassen
zugleich das Fundament einer geregelten Wirtschaft schaffen. Die Aufrechterhaltung der öffent-
lichen Ordnung, die Gewährleistung sicheren und unparteiischen Rechtsschutzes, die Schaffung
oder Kodifizierung zweckentsprechender Rechtsnormen sind die Voraussetzungen einer Wirtschaft
grösseren Stils; wo solche fehlen, wie vor kurzem noch in manchen Teilen des Orients oder in dem
grössten Teile Innerafrikas, wird sich ausser der Landwirtschaft nur ein primitives Handwerk und
ein in seinen Ergebnissen stets gefährdeter Handel entwickeln können. Die Ordnung des Münz-,
Mass- und Gewichtswesens, die Schaffung und Unterhaltung eines brauchbaren Wegenetzes (durch
den Staat selbst oder seine nachgeordneten Organe), die Regelung des Marktwesens sind weitere
Bausteine zum Fundament der Volkswirtschait.