138 Wilhelm van Calker, Die staatlichen Horrschaftsformen.
Die Tatsache, dass der Monarch es ist, dem — unbeschadet der tatsächlichen Macht-
verteilung?®) und unbeschadet der ihn rechtlich beschräukenden Zuständigkeiten anderer
Staatsorgane — in der Einherrschaft die höchste rechtliche Macht zusteht, äussert sich
namentlich in der Geltung folgender Grundsätze:
Der Monarch ist das Oberhaupt des Staates und vereinigt in sich alle Rechte der
Staatsgewalt, er ist der Ausgangspunkt aller staatlichen Funktionen, er ist — und zwar
auch im konstitutionellen Staat — der Träger der Gesetzgebung, der Träger der Verwaltung
und der Träger der Rechtsprechung. Daran hat auch die vielgeschmähte Gewaltenteilung,
so wie sie ihrem wahren Wesen gemäss in den einzelstaatlichen. Verfassungen Deutschlands
verwirklicht worden ist, nichts geändert.) Auf dem Gebiete der Gesetzgebung zeigt sich die
höchste Gewalt des Monarchen namentlich darin, dass — soferne er nicht überhaupt das
einzige und unbeschränkte Gesetzgebungsorgan ist — ohne seine Zustimmung kein Rechts-
satz erlassen, abgeändert, authentisch interpretiert oder aufgehoben werden kann. Der
Monarch erteilt den Gesetzesbefehl: „Ita lex esto®, erist — auch im konstitutionellen Staate
— der Gesetzgeber. Auf dem Gebiete der Exekutive äussert sich das absolute Über-
gewicht der organischen Stellung des Monarchen im Staate insbesondere darin, dass in
seiner Hand alle Füden der Verwaltung zusammenlaufen: Er leitet den Vollzug der
Gesetze, er ernennt und entlässt die übrigen Staatsorgane, er erteilt den Beamten und
Behörden des Staates ihren Amtsauftrag, er verwaltet die Machtmittel des Staates, er erlässt
die Kriegserklärung und befiehlt den Friedensschluss.. Auf dem Gebiete der Rechtsprechung
tritt die höchste Gewalt des Monarchen vor allem dadurch zutage, dass die Urteilsfällung
im Namen des Monarchen und durch vom Monarchen angestellte oder berufene Richter
erfolg. Am deutlichsten äussert sie sich selbstverständlich im absoluten Staat, wo der
Monarch grundsätzlich als oberster Richter funktioniert und wo das Eingreifen der Kabinetts-
justiz in die Rechtsprechung eine gesetzmässige Massnahme ist. Sie ist aber auch im kon-
stitutionellen Staate insolange gegeben, als die vorgenannten Tatsachen zutreffen.
Wo die geschilderte Vereinigung aller Gewalten in der Hand des Staatsoberhauptes
dem Rechte nach nicht mehr besteht, wo also beispielsweise, wie nach der französischen Ver-
fassung vom 3. September 1791, die verfassungsändernden Beschlüsse der gesetzgebenden
Körperschaft der Sanktion des Herrschers entrückt sind, da ist rechtlich und tatsächlich
keine Einherrschaft, sondern eine Mehrherrschaft vorhanden.”) Im übrigen sind natürlich
mancherlei kleine Abweichungen von dem Normalfall möglich, ohne den Typus der Monarchie
als solchen zu vernichten. Hierher gehören namentlich die verfassungsmässigen Ein-
schränkungen des Alleinherrschers auf dem Gebiete der Exekutive, wie z. B. das Erfordernis
der ministeriellen Gegenzeichnung, Vorschlagsrecht des Parlaments bei gewissen Beamten-
ernennungen, Beschränkungen des landesherrlichen Organisationsrechts durch die budget-
rechtlichen Befugnisse der Volksvertretung u. s. w., sofern sie nur die den Staat in Bewegung
setzende und in Bewegung erhaltende Tätigkeit des Monarchen nicht für einzelne Gebiete
des staatlichen Willens völlig ausser Funktion setzen.
Neben den obengenannten Merkmalen der Einherrschaft wird vielfach auch die
Lebenslänglichkeit der Monarchenwürde als ein Essentiale der Monarchie bezeichnet.
Mit Unrecht! Gibt schon der Begriff der Einherrschaft, als Gegensatz zur Mehrherrschaft
verstanden, keinerlei Anhalt zu einer derartigen Forderung, so bietet auch das tatsächliche
Leben der Staaten keinen Anlass, die Lebenslänglichkeit der Monarchenstellung als ein
%) S. in dieser Beziehung Piloty, Autorität und Staatsgewalt, 1905 (S. A. aus d. Jahrbuch der
Internationalen Vereinigung f. vergl. Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre zu Berlin, VI. u. VII. Bd.).
*“, In der Verwirklichung dieser Grundsätze prägt sich das monarchische Prinzip im rechtlichen Sinne
dieses Wortes aus. — Noellner, das monarchisohe Prinzip und die deutschen Stantsverfassungen der
neueren Zeit, 1856, fasst jenes Prinzip wesentlich im einseitigen pulitischen Sinne auf. Bezüglich des Wesens
der Gewaltenteilung vgl. Auschütz, a. O.,S. 476, Otto Mayor, Deutsches Verwaltungsrecht. I (1895)
S. 67. — A. M. Jelliaek, A.St.L. S. 066 (682).
”) VgL Jellinok, S. 668 (684).