192% Franz W. Jerusalem. Zentralisation und Dezentralisation der Verwaltung.
Der Conseil de departement stand an der Spitze der gesamten Verwaltung des Departements.
Gemäss den Anweisungen der Zentralgewalt war er auf den verschiedensten Gebieten tätig. Die
Beschlüsse des Conseil de departement waren zum Teil endgültig, zum Teil bedurften sie zu ihrer
Gültigkeit der Genehmigung der Zentralinstanz. Die dem Conseil de departement untergeordneten
Verwaltungsorgane in den Distrikten und Gemeindebezirken, die dem Conseil de departement nach-
gebildet waren, führten nach seinen Anweisungen und unter seiner Oberleitung die Geschäfte.
Diese Verwaltungsreform, an die die grössten Erwartungen sich geknüpft hatten, erlebte
jedoch einen völligen Zusammenbruch.
Die Unabhängigkeit der Lokalverwaltungsorgane von der Zentralgewalt, die gesetzlich kein
Mittel in der Hand hatte, jenen ihren Willen aufzuzwingen, das völlige Fehlen jeder Homogenität
von Zentralregierung und Lokalverwaltungsorganen, das fortwährend zu den elementarsten Kon-
flikten führte, waren der grösste Fehler der Reform. Freilich machte der Kongress mit widerspen-
stigen Departementsräten kurzen Prozess. Commissaires oder Representants en mission wurden in
die Departements geschickt. um die lokalen Widerstände, die sich gegen die Revolutionsregierung
bemerkbar machten, zu ersticken. Die Verfassung des Jahres III suchte darauf die schlimmsten
Fehler der Verwaltungsreform durch eine grössere Abhängigkeit der Departementsorgane zu be-
seitigen. An die Stelle des Generalprokurators setzte sie einen von der Regierung ernannten Kom-
missar, dem in erster Linie die Überwachung der gesetzmässigen Verwaltung oblag. Daneben hatte
er gewisse selbständige Befugnisse, indem er im Interesse einer wirkungsvollen Durchführung seiner
Befugnisse die Beschlüsse der Versammlungen für ungültig erklären, einzelne Mitglieder in gewissen
Fällen suspendieren, absetzen und bis zur nächsten Wahl durch andere ersetzen konnte.
Dieser Rechtszustand dauerte bis zum Jahre VIII. Es war die Zeit völliger Auflösung der
staatlichen Organisation, in der der ErsteKonsul, wie Thiers sich ausdrückte, bei seinem ersten Auf-
treten wie ein wahrhafter Abgesandter des Himmels erschien. Die feste Hand Bonapartes machte
sich auch in der Verwaltung fühlbar. Das System der völligen Dezentralisation, das trotz der Ein-
schränkungen der Verfassung vom Jahre III zu einer völligen Deroute geführt hatte, wurde auf-
gehoben und an seine Stelle ein System schärfster Zentralisation gesetzt. An die Stelle des Conseil
de departement und seines Directoire trat der Präfekt. Er vereinigt die Verwaltung des Departements
inseiner Hand. Obgleich er ausgedehnte Befugnisse hat, übt er sie nur in wenigen Fällen selbständig
aus, da die Zentralinstanz ihm für das Gebiet seiner Geschäftsführung Anweisungen über die Art
seiner Tätigkeit erteilt. Vor allem steht dem Staatsrat ein ausgedehntes Verordnungsrecht in Ver-
waltungssachen zu. In gleicher Weise wurde auch die Organisation der eingeordneten Verwaltungs-
bezirke entsprechend modifiziert. Der Unterpräfekt trat an die Spitze des Arrondissement, der
Maire an die Spitze der Gemeindeverwaltung: beide werden von der Regierung ernannt und sind wie
der Präfekt völlig an die Weisungen der übergeordneten Behörden gebunden. In jedem Departement
wurde sodann dem Präfekteneine Versammlung von Notablen, der Generalrat, zur Seitegestellt, dessen
Mitglieder aber nicht etwa von der Bevölkerung gewählt, sondern von der Regierung ernannt werden.
Ihre Befugnisse, sind aufs äusserste beschränkt. Vor allem haben sie Gutachten abzugeben
über den Zustand und die Bedürfnisse des Bezirkes. In der Gemeinde nimmt der Gemeinderat
eine ähnliche Stellung mit ähnlichen Befugnissen ein.
Das sind die Grundlagen der Verwaltungsorganisation. die auch heute noch insoweit in
Geltung sind, wenn auch im Laufe des 19. Jahrhunderts das Prinzip der völligen Zentralisation der
Verwaltung allmählich zugunsten der Dezentralisation eine Reihe von Modifikationen erfahren hat.
Schon sehr bald nämlich setzte die Kritik ein. Man verlangte, dass die Mitglieder des General-
rates und des Gemeinderates gewählt werden sollten. Es kam auch zu einem Gesetzentwurf, der der
Kammer vorgelegt wurde; er wurde aber wieder zurückgezogen und darüber kam es zur Revolution
von 1830. Unter den Versprechen der Charte von 1830 figurierte auch das Wahlrecht für General- und
Gemeinderat. Durch ein Gesetz von 1831 wurde dies Versprechen für die Gemeinden eingelöst.
Dagegen wurden die Maires in Zukunft wie früher vom König, eventuell in seinem Namen vom Prä-
fekten ernannt; sie müssen aber jetzt aus den Mitgliedern der Gemeinderäte genommen werden. Ein
Gesetz von 1833 führte auch das Wahlrecht für Generalräte und Arrondissementsräte ein. Durch
Gesetze von 1837 und 1838 wurden de Kompetenzen der Gemeinderäte und der Generalräte
erweitert. Die Generalräte haben jedoch auch fürderhin nur in einer sehr beschränkten Reihe