194 Franz W. Jerusalem, Zentralisation und Dezentralisation der Verwaltung.
sich, wie es in der ministeriellen Verfügung hiess, vom theoretischen Standpunkt aus besonders
mit dem Problem der Dezentralisation beschäftigt hatten. Die Arbeiten der Kommission waren
noch nicht beendet, als der Krieg und darauf die Revolution vom 4. September ausbrach.
Die Früchte dieser Beratungen konnte erst die Dritte Republik ernten.
Ein gewisses Ergebnis hatten zwar bereits jetzt ihre Arbeiten gehabt, indem durch
Gesetz aus dem Juli 1870 bestimmt wurde, dass die Regierung in den Gemeinden wieder den
Maire aus der Zahl der Mitglieder des Gemeinderates zu ernennen hätte; zugleich wurde den
Generalräten der Departements das Recht beigelegt, ihre Präsidenten selbst zu ernennen, was
bis dahin stets der Regierung vorbehalten gewesen war.
Das Gesetz vom 10. August 1871, das als das Ergebnis der Arbeiten der Dezentralisstions-
Kommission erging, hat sich ihre Reformvorschläge, obwohl die Wortführer derselben jetzt zum Teil
dem Ministerium angehörten, nur in beschränktem Umfang zu eigen gemacht. Grundsätzlich liess
sie die bestehende Organisation unberührt; nur in Einzelheiten wurde geändert. Vor allem wurde
eine Departementskommission neu geschaffen, d.i. ein Ausschuss des Generalrates, der alljährlich
vom Generalrat aus der Zahl seiner Mitglieder gewählt wird. Den Vorsitz führte das den Jahren nach
älteste Mitglied der Kommission, was ausdrücklich deshalb bestimmt wurde, weil man damals
fürchtete, dass ein vom Generalrat oder von der Departements-Kommission gewählter Vor-
sitzender dem Präfekten gegenüber zu einflussreich werden könnte. Als sich indes herausstellte,
dass der Generalrat durch entsprechende Auswahl der Mitglieder der Kommission die Bestimmung
über die Persönlichkeit des Vorsitzenden stets in der Hand habe, wurde durch Gesetz von 1899 die
Wahl der Kommission selbst überlassen. Zu den Kompetenzen der Kommission gehört vor allem
die Vorbereitung des Budgets und sonstige Aufgaben, die die Vermögensverwaltung des Departe-
ments betreffen, aber sich zum Teil auch auf die allgemeine Staatsverwaltung beziehen; so hat die
Kommission die Ausschüsse für das militärische Ersatzgeschäft und die Geschworenenlisten fest-
zustellen. Daneben wurden die Befugnisse des Generalrates erweitert. Der Entwurf des
Gesetzes hatte ausserdem die Aufsicht der Kommission über das niedere Kommunalwesen
vorgesehen, was ein sehr bedeutender Schritt in der Richtung einer fortschreitenden Dezen-
tralisation gewesen wäre. Man liess aber diesen Punkt schliesslich fallen, um ihn in einem
demnächst zu erlassenden Gemeindegesetz endgültig zu regeln. Dies Gesetz erging im Jahre 1884.
Es stellte sich aber als eine blosse Kodifikation der bestehenden Bestimmungen dar, ohne dass
wesentliche Neuerungen eingeführt worden wären. Die selbständigen Befugnisse des Gemeinderates
wurden zwar in gewisser Beziehung erweitert, grundsätzliches des bisherigen Rechtszustandes aber,
auch die durch Gesetz von 1876 grundsätzlich eingeführte Wahl des Maire durch den Gemeinde-
rat, nicht angetastet. Insbesondere wurde endgültig der Gedanke einer Übertragung der Aufsicht
über die Gemeinden an die Departementskommission aufgegeben.
Seither ist, abgesehen von unwesentlichen Abänderungen, an diesem Rechtszustande nichts
geändert worden. Auch heute ist die Frage nach weiterer Dezentralisation offen; Zentralisation
der Verwaltung kennzeichnet auch heute noch die französische Lokalverwaltung.
III. Der Gegensatz von Zentralisation und Dezentralisation der Verwaltung bedeutet zunächst
ein verwaltungstechnisches Problem. Hierbei handelt es sich um die Frage, ob die Verwaltungsge-
schäfte im weitesten Sinne in zweckentsprechender Weise verteilt sind, so dass das Staatsganze den
grösstmöglichen Nutzen durch die Art dieser Verteilung hat oder ob eine andere Verteilung mehr
das Wohl des Staates zu fördern geeignet ist. Die Gesichtspunkte, die für eine Reform dieser Ver-
teilung in Betracht kommen, können der mannigfachsten Art sein, von denen ich nur einige
hier erwähnen kann. Zur Beseitigung der wachsenden Arbeitslast einer Behörde, die die
laufenden Geschäfte nicht mehr pünktlich erledigen kann, kann es z. B. erforderlich werden, unter-
geordnete Behörden mit der Erledigung zu betrauen, während sich die Zentralbehörde selbst in
Zukunft mit der Überwachung der Ausführung begnügt. Aus Gründen der Sparsamkeit wird es
sich manchmal empfehlen, bestimmte Lokalverwaltungsbehörden aufzuheben und ihre Kompetenzen
einer einheitlichen Zentralbehörde zu übertragen, welche nunmehr die Geschäfte der bisherigen
Lokalbehörden einheitlich für das ganze Staatsgebiet unter erheblicher Ersparnis von Beamten er-
ledigt. Sehr oft ist es ferner erforderlich, die Verwaltung zu dezentralisieren, um sie den besonderen
Bedürfnissen und Verhältnissen der einzelnen Landesteile anzupassen. Als Beispiel können über-