Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Hermann Rehn:, Politik als Wissenschaft. — Ihre Zweige. 7 
haben genau den gleichen Anspruch auf staatliche und wirtschaftliche Grossmachtstellung, wie das 
englische und französische, die sich dieser Stellung bereits seit Jahrhunderten erfreuen. 
Wenn die Staats- und Volksgrenzen sich überall decken und wenn die wirtschaftlichen Not- 
wendigkeiten für die grossen Völker allenthalben in ausreichender Weise erfüllt sein würden, so 
besonders, was die Verbindung des Landes mit der grossen Handelsstrasse des Weltmeeres betrifft, 
so würde man sich einen Zustand des ewigen Friedens durch Erledigung aller ‚Streitigkeiten auf dem 
Wegeder Scl it vielleicht denken können. Vielleicht: viellei 
der Menschennatur. Aber jene Voraussetzungen ewigen Friedens sind im weiten Umfange nicht erfüllt 
Bis dahin wird die auswärtige Politik der Staaten zufrieden sein müssen, sich engere Grenzen dahin 
zu ziehen, dass durch sorgfältige Pflege aller inteınationalen Beziehungen unter "den Staaten unter 
rückhaltloser Anerkennung der politischen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten für das eine Volk 
nach dem gleichen Massstabe, wie sie für die anderen bestehen, durch unermüdliche gemeinsame 
Arbeit der Staaten an den grossen Kulturaufgaben der Menschheit, durch weiteren Ausbau der 
internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, die Ursachen zu Kampf und Streit so viel als möglich ver- 
ringert, gemildert, wenn irgend möglich beseitigt werden. Insbesondere werden diese Beziehungen 
eine Abgrenzung der zivilisatorischen und kolonisstorischen Aufgaben der Staaten in den annoch 
der Zivilisation wenig oder garnicht erschlossenen Ländern und Völkern — „Interessensphären“ — 
erforderlich machen: denn an sich hat für diese Aufgabe jede Kulturmacht die gleiche Stellung wie 
jede andere; die Mächte sind darum für die Erfüllung dieser grossen und notwendigen Aufgabe auf 
friedliche Verständigung durch gegenseitige Konzessionen angewiesen. 
So mag es im Laufe weiterer Jahrhunderte gelingen, die internationale Politik immer mehr 
und immer festeı zu einer Politik des Friedens zu gestalten und den friedlichen Wettbewerb des 
Fleisses, der geistigen Kraft und des tatkräftigen Handelns zum massgebenden Faktor des Staaten- 
lebens der Menschheit zu gestalten. Zunächst freilich wird die militärische Kraft noch in 
erster Linie die Sicherheit des friedlichen Wettbewerbes verbürgen, insbesondere für ein Volk, dessen 
staatliche und wirtschaftliche Zusammenfassung zu Einheit und Kraft noch jung und nicht durch 
die Jahrhunderte festgefügt ist, zudem von den anderen Völkern nicht mit Freude, sondern mit Miss- 
trauen und Argwohn betrachtet wird. Die Entscheidung in diesen grossen Imponderabilien des 
Völkerlebens bieten, soweit die Menschheitsgeschichte berichtet, nicht Faktoren des Rechtes, son- 
dern Faktoren der Kraft der Völker. 
  
2. Abschnitt. 
Politik als Wissenschaft. — Ihre Zweige. 
Von 
Dr. Hermann Rehm, 
o. Professor der Rechte an der Universität Strassburg. 
Literatur : 
G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre 3. Aufl. 1914 S.13 u.65; Rehm, Allg. Staatslehre 1899 
S. 8; Berolzheimer, Politik 1906; Stier- Somlo, Politik? 1912; R. Schmidt, Art. Politik i. 
Wörterb. d. deutsch. Staats- u. Verw.R.? Bd. 3 (1914); Hertling, Art. Politik im Stastslexikon der 
Börresgesellschaft 3. £ 3. Aufl. Band 4 (1911); Bluntschli, Politik 1876; Holtzendorff, Prinzipien der 
1879
	        
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