Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

8 Hermann Rehm, Politik als Wissenschaft. — Ihre Zweige. 
  
  
  
I. Begriff der Politik als Wissenschaft. 
Politik kommt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich „die staatliche“ (n roAırıxH). 
Also ist etwas zu ergänzen. Schon die Griechen ergänzten Kunst (r&yvn) oder Wissenschaft 
imısröun). Die Zweiheit des Begriffes ist somit alt. Hier ist die zweite Bedeutung zu besprechen, 
nicht das Können, sondern das Wissen in staatlichen Dingen. 
A) Als Wissenschaft bedeutet Politik ein Dreifaches: 
l. alles Wissen vom Staate, die Wissenschaft vom Staate; 
2. mehrere Teile dieses Wissens, zusammen oder einzeln, nämlich 
- 
a) de Staatsmachtlehre oder historische Politik. Sie ist die Lehre 
von den tatsächlichen Machtverhältnissen im Gegensatz zu den rechtlichen, von den tatsächlichen 
im Gegensatz zu den rechtlichen Mächten des Staatslebens. Die Staatsrechtlehre stellt dar, wie der 
Staat nach bestehender Rechtsvorschrift eingerichtet und verwaltet sein soll. Die Staatsmacht- 
Ichre beschreibt. wie Einrichtung und Verwaltung des Staates tatsächlich gestaltet sind. Recht 
und Tatsache, Recht und Macht sind sehr verschiedene Dinge. Rechtliche Machtfaktoren bilden 
Herrscher, Ministerium, Parlament, Wählerschaft. Tatsächlicher Einfluss kann dem einen oder 
anderen dieser Organe fehlen. Generaladjutantur, Kabinetskanzlei, Hof, Geheimräte, Parteien, 
Vereine, Presse sind keine rechtlichen Machtfaktoren, können aber sehr erhebliche tatsächliche sein. 
Rechtlich hat die oberste Macht in der Monarchie der Herrscher; tatsächlich kann ein Minister der 
Staatsleiter sein. Rechtlich die höchste Reichsmacht besitzt der Bundesrat, tatsächlich der König 
von Preussen. Juristisch ist der Präsident des preussischen Staatsministeriums nur erster unter 
Gleichen; tatsächlich hat er zumeist nicht nur Vorsitz, sondern Vormacht. 
b) die Staatskunstlehre oder theoretische Politik weiteren Sinnes. 
Sie ist die Lehre vom erfolgreichen und zweckgemässen Handeln in staatlichen Dingen, politische 
Theorie im Gegensatze zur politischen Praxis. Sie zerfällt in 
«) die Staatsklugheitslehre oder praktische Politik, welche das 
ürlangen und Bewahren von Macht in staatlichen Dingen lehrt. Gleichbedeutend ist Lehre von 
der Staatstaktik (Regierungs-, Parlaments-, Partei-Taktik). Sie lehrt Augenmass haben für Tat- 
sachen, Dinge, Personen. Sie ist die Politik des Realen, des Erreichbaren. Lehrsätze, die hierher 
wehören, sind: Mögliches nicht durch Unmögliches gefährden; Mässigung, Zurückhaltung, Disziplin, 
Kinbeitlichkeit nach aussen geben Erfolg. 
p) die Staatszweckmässigkeitslehre (Staatskunstlehre oder theore- 
tische Politik engeren Sinnes),Wissenschaft von den Staatszwecken und der zweck- 
mässigen Einrichtung und Verwaltung des Staates. Diese Lehre unterrichtet über das nach Ort 
und Zeit Bestmöglichste in Staatsdingen. Sie lehrt: nicht, wie erreicht man einen Staatszweck am 
leichtesten. sondern am besten. Vorbeugen lässt sich Konflikten zwischen Reichs- und preussischen 
Interessen auch durch Verständigung; am besten geschieht es, wenn Reichs- und preussische Re- 
sierung personell vereinigt, Reichsminister zugleich preussische Minister und preussische Bevoll- 
nüchtiete zum Bundesrate sind und zwischen Reichs- und preussischem Parlament Doppelman- 
late bestehen. 
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3. nur einen Teil, die Staat 
B) Der buchstäblichen Bedeutung des Wortes Politik entspricht lediglich der weiteste Be- 
riff. Wie erklären sich daher die engeren Bedeutungen ? Die eine erklärt sich aus dem Zwecke, 
lie andere aus der Geschichte der politischen Wissenschaft. Die Beschränkung der Bedeutung auf 
Macht-, Kluzheits- und Zweekmässigkeitslehre führt darauf zurück, dass Politik noch eine andere 
orundbedeutung besitzt. Politik bedeutet noch Staatskunst, also ein Handeln in Staatssachen. 
Ilandeln in Stantssachen verlangt Kenntnis der Tatsachen, Einsicht in die Staatszwecke und Kraft,
	        
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