10 Hermann Rehm, Politik als Wissenschaft. — Ihre Zweige.
9, das Wissen von der Wirtschaft, Wirtschaftswissenschaft. Zur Staatswissenschaft in
diesem Sinne kann das Staatsrecht als Ganzes so wenig gehören wie die ganze Politik und die all-
cemeine Staatslehre als solche. Ihre Teile sind Staats-, Einzel- und Volkshaushalts-Lehre, somit
Finanzwirtschaft, Privat- und Volks-Wirtschaftslehre. Wie die Wirtschaftswissenschaft zum
Namen Staatswissenschaft komnit, ist eigentümlich. Es erklärt sich rein äusserlich. Zur wissen-
schaftlichen Ausbildung ihrer in den Staatswirtschaftszweigen zu verwendenden Beamten grün-
deten die Staaten im 19. Jahrhundert zum Teil besondere staatswirtschaftliche Fakultäten. Als
infolge der fortschreitenden Differenzierung der Wissenschaften für bestimmte Zweige der Staats-
wirtschaft Spezial-Hochschulen (forst- und landwirtschaftliche Akademien) entstanden, schieden
diese in erster Linie den Namen Wirtschaft führenden Fächer aus den genannten Fakultäten aus.
Man änderte daher ihre Bezeichnung und nannte sie, weil ihre Aufgabe im Gegensatze zu den Rechts-
fakultäten war, für den Staats- und nicht für den Rechtsdienst vorzubereiten, staatswissenschaft-
liche Fakultäten. In ihnen waren aber nur Finanz, Nationalökonomie und Statistik verblieben.
Daher die Beschränkung der Bedeutung auf die Wirtschaftswissenschaften.?)
3. das Wissen, das vorwiegend der Erkenntnis des Staates und nicht des Rechtes dient:
allzemeine Staatslehre, Politik, Staatsrecht, Nationalökonomie und Finanz, also eine Vereinigung
der zwei anderen Bedeutungen und demgemäss in juristische und wirtschaftliche Staatswissen-
schaften zerfallend. .
E) Das Ergebnis alles bisherigen ist: Politik, Staatslehre und Staatswissenschaft besagen
der Wortbedeutung nach dasselbe, ihre technischen Bedeutungen dagegen gehen mehr oder weniger
stark auseinander.
U. Begriff politisch.
Noch mehr Bedeutungen als Politik hat politisch. Politisch bedeutet:
l. staatlich. Das ist der ursprüngliche und wörtliche Sinn. Polis heisst Burg. dann
Stadt mit umgebendem Landgebiet (xup«)8). Weil der griechische Staat Stadtstaat war, wurde
Polis auch der Name für Staat. Politische Gemeinde ist die staatliche Gemeinde im Gegensatz zur
kirchlichen. Im Sinne von staatlich steht das Wort in den Verbindungen politisches Testament,
politische Geschichte, politische Taktik, Presse, Versammlung, politisches Delikt, politische Bil-
dung. Politischer Faktor hat zum Gegensatz z. B. den wirtschaftlichen, politische Partei die wirt-
schaftliche oder konfessionelle.
2. die Machtseite des Staates betreffend. Mit diesem zweiten Sinne beginnen
die engeren Bedeutungen des Wortes. Sie erklären sich aus Verschiedenem, teils daraus, dass Macht
die hervorstehendste Eigenschaft des Staates bildet, teils daraus, dass für das. Staatsleben das
wichtigste ist zu wissen, wie man es am zweckmässigsten gestaltet. Wenn man den Begriff poli-
tische Beamte im Gegensatz zu Finanz- und Justizbeamten stellt, versteht man darunter Beamte
für die Machtseite des Staates.
3. dietatsächliche Macht des Staates betreffend. Gleichbedeutend ist die Autori-
tät, das Ansehen des Staates betreffend. Den Gegensatz bildet rechtliche Macht (Hoheit). Der
Seniorenkonvent des Reichstages ist ein tatsächlicher, kein rechtlicher Staatsfaktor.
4. dieoberste Staatsmacht, die Staatsleitung, das Verfassungsleben betreffend. Politische
Parteien im Gegensatz zu kommunalen oder wirtschaftspolitischen. Politische Beamte im Gegen-
satz zu administrativen, politische Minister und Staatssekretäre im Gegensatze zu Verwaltungsminis-
lern. Kein politischer Minister istder Justizminister. Politische Rechteim Gegensatze zu bürgerlichen.
b. dieoberste Macht des Staates im Staatenverkehr, also die Stellung als Macht
nach aussen betreffend: politisches Gleichgewicht; politische Verträge (Allianzen) im Gegensatz
zu Verwaltungsverträgen (Handels-, Auslieferungsverträge).
’)v. Mayr, Begriff und Gliederung der Staatewissenschaften 3. Aufl. 1910.